„Dran, dran, solange ihr Tag habt!“ Thomas Müntzer, ein Knecht Gottes

Gebannt, ihre Waffen umklammernd, blickten sie gen Himmel, eine kreisrunde Lichterscheinung umstrahlte in den Farben des Regenbogens die Sonne! Diese mystische Offenbarung konnte nur ein Zeichen Gottes sein, der ihnen den Sieg verhieß. Sie würden siegen obwohl ihre Wagenburg mitsamt der Stadt Frankenhausen seit dem Vormittag des 15. Mai 1525 von einer großen, übermächtigen Streitmacht eingeschlossen war. Eine Allianz aus sieben Fürsten hielt mit mehreren tausend kriegserprobten Landknechten und Berittenen sowie einer großen Anzahl von Geschützen die Höhen ringsum besetzt.

Dagegen konnten die Aufständischen nicht einmal 20, zumeist leichte Karrenbüchsen einsetzen. Doch es fehlte an Pulver. Ein Schweizer Agent, der durchs Land reiste und mit allen Parteien Geschäfte machte, hatte versprochen, für 900 Gulden Nachschub zu besorgen – um mit dem Geld auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden. Zudem hatte die anrückende Streitmacht der Fürsten einige Aufständische schwankend gemacht. Doch da war Thomas Müntzer am 11. Mai eingetroffen! Einst Gefolgsmann, nun Gegner Luthers, radikal und bedingungslos in seinem Streben, den Gottesstaat auf Erden zu schaffen. „ … Es steht geschrieben, daß die Gewalt soll gegeben werden dem gemeinen Volk, …“ interpretierte er revolutionär die Bibel. Müntzer predigte als Erster auf Deutsch und seiner Gemeinde zugewandt, lehnte Titel ab, bezeichnete sich schlicht als „ein Knecht Gottes“. Er handelte im Bewußtsein überirdischer Sendung, gläubig, Wunder erwartend. Genauso wie die Schar von 300 Bewaffneten aus Mühlhausen, die den Propheten begleitet hatten. Müntzer brachte acht Karrenbüchsen und die Regenbogenfahne mit, Symbol des Bündnisses zwischen Gott und den Menschen. Er war das Kraftzentrum, wortgewaltig und auch ohne klar definiertes Amt die unbestrittene Autorität des Aufstands. Bedenken, Skrupel oder Kompromisse kannte Müntzer bei der Erfüllung seiner Mission nicht. Gleich nach seiner Ankunft ließ er ein Exempel statuieren und vier Gefangene, Gefolgsleute des Grafen von Mansfeld, öffentlich hinrichten.

Zum militärischen Führer des Frankenhäuser Haufens war der ortsansässige Bonaventura Kürschner gewählt worden. Kürschner ließ auf dem Hausberg, vor den Toren der Stadt, eine Wagenburg auffahren und sämtliche Geschütze dorthin schaffen. Vielleicht hoffte man, so Kampfhandlungen von der Stadt fernhalten zu können.

Vor dem Angriff des Fürstenheeres kam es zu einer letzten Kontaktaufnahme. Ein Waffenstillstand auf drei Stunden wurde ausgehandelt und die Aufständischen diskutierten im Kreis stehend in der Wagenburg. Die Fürsten verlangten die Auslieferung Müntzers und anderer Anführer und die völlige Unterwerfung. In einem langen, zähen Ringen konnte Müntzer seine kompromisslose Haltung durchsetzen. Zwei Männer, die für seine Auslieferung gestimmt hatten, wurden sogleich hingerichtet. Da erschien ein Lichtbogen um die Sonne. Müntzer begann zu predigen „Laßt euch nicht erschrecken das schwache Fleisch und greift die Feinde kühnlich an. Ihr dürft das Geschütz nicht fürchten, denn ihr sollt sehen, daß ich alle Kugeln in den Ärmel fassen will, die sie gegen uns schießen. Ja, ihr seht, daß Gott auf unserer Seite ist, denn er gibt uns jetzt ein Zeichen, seht ihr nicht den Regenbogen am Himmel? … .“ Alle Kämpfer kamen zusammen, sanken auf die Knie, falteten die Hände und begannen zu singen – im Vertrauen auf den Waffenstillstand mit den Fürsten.

Deren Hauptleute waren nicht untätig geblieben und hatten, während sich die Verhandlung im Ring hinzog, ihre Einheiten dicht an die Wagenburg herangeführt. Die Situation war günstig, denn die Diskussion war den Aufständischen so wichtig, dass sie selbst die Beobachtungsposten abgezogen hatten. In aller Ruhe konnten die Büchsenmeister ihre Geschütze auf die inbrünstig Singenden und Betenden einrichten. Die erfahrenen Krieger verstanden ihr Handwerk. Gleichzeitig zündeten sie die Lunten und mit einem Schlag schmetterten die Kanonenkugeln in die Menge. Arme, Beine, Köpfe wirbelten durch die Luft, während dicht gestaffelt Landknechte losstürmten und der Boden unter den Hufen der anreitenden Pferde zitterte. Donnernde Hufe, Kriegsgeschrei – urplötzlich brandeten die Söldner der Fürsten gegen die Wagenburg. Überrumpelung – die Aufständischen unter Schock, zerhauene Leichen, schreiende Verwundete, Rufe „Sie kommen“. Panik brach aus, alle wurden mitgerissen, warfen ihre Waffen weg und rannten kopflos den Hang hinab in Richtung Stadt. Ohne Gnade schlachteten die Kriegsknechte sie ab. Nur von der Schar der 300, die mit Müntzer gekommen waren, konnten sich einige zur Wehr setzten. Durch ihre Waffen fielen sechs Reiter aus dem Fürstenheer. Dagegen wurden 5000 Aufständische erschlagen, in Frankenhausen ging das Morden weiter. 600 Bauern wurden gefangen, von denen am folgenden Tag 300 enthauptet wurden. Müntzer geriet in die Hände der fürstlichen Häscher, wurde tagelang in der Wasserburg Heldrungen gefoltert. Endlich kam am 27. Mai 1525 das Ende. Mit seinem Mitstreiter Heinrich Pfeifer wurde Müntzer bei Mühlhausen enthauptet und ihre Köpfe wurden auf Spießen vor der Stadt ausgestellt.

Mit dem Gemetzel von Frankenhausen war der Aufstand in Mitteldeutschland entschieden, unmittelbar zuvor, am 12. Mai, unterlag bei Böblingen der Württembergische Haufen. Das gleiche Schicksal erlitt am 17. Mai im Westen des Reiches, bei Zabern, der Elsässische Haufen. Nachfolgende Kämpfe bildeten lediglich blutige Schlussakkorde.

Luther stellte sich mit seinem Pamphlet „Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern“ auf die Seite der Fürsten und bemühte sich insbesondere, das Andenken an Müntzer aus der Geschichte zu tilgen. Als Ketzer verteufelt blieb er jahrhundertelang weitgehend unbekannt. Erst durch die marxistische Interpretation erlangte er wieder Aktualität. Friedrich Engels nahm 1850 in seinem Werk „Der deutsche Bauernkrieg“ Bezug auf Müntzer. Populär wurde der Prophet aber vor allem durch das von Ernst Bloch 1921 erschienenen Buch „Thomas Münzer als Theologe der Revolution“.

Während Müntzer für die DDR zu einer nationalen Identifikationsfigur wurde, lässt man ihn und den Bauernkrieg heute weitgehend links liegen. Ein historischer Diskurs über die radikalen Strömungen, die den gesellschaftlichen Umbruch im 16. Jahrhundert markierten, wird nicht geführt. Zu unliebsam wäre die Rolle, die Luther dabei zukommt. Der Reformator gründete seine Kirche im Einvernehmen mit den Fürsten, war Antisemit, wollte Hexen brennen sehen und war Vorbild auch bei den Nazis.

Der Text erschien in gekürzter Fassung mit der Überschrift „Sie würden siegen!“ am 16. Mai 2017 in der Jungen Welt.

Es existiert keine zeitgenössische Abbildung von Thomas Müntzer. Ein erstes Portrait aus dem Jahr 1608 diffamiert Müntzer als hässlichen Ketzer mit von Gicht gezeichneten Händen. Bis heute bestimmt diese Verunglimpfung das Bild des Revolutionärs. Dem will diese Abbildung entgegenwirken.