Der Harz im April 1945

Endkampfmythen

Als der Oberbefehlshaber West, der später als Kriegsverbrecher zum Tode verurteilte (und dann begnadigte) Generalfeldmarschall Albert Kesselring, mit seinem Befehlszug zwischen dem 1. und 3. April 1945 bei Drei-Annen-Hohne Schutz suchte, war der Krieg längst entschieden. Doch das benachbarte Blankenburg schien als „Hauptquartier OB-West“ immer noch geeignet, da es im Schutz des Gebirges hinter dem Schwerpunkt der Front und in Reichweite Berlins lag. Doch aus diesen Plänen wurde nichts, in wenigen Tagen rückte die Front heran und Kesselring dampfte ab.

Um diesen Zeitpunkt, am 8. April 1945, erklärte das OKW (Oberkommando der Wehrmacht) den Harz zum Verteidigungsbereich unter dem AOK 11 (Armeeoberkommando der 11. Armee) von General der Artillerie Walter Lucht. Zunächst richtete das AOK 11 seinen Gefechtsstand in Riefensbeek ein.

Auf Befehl Hitlers sollte die sich in Formierung befindlichen 12. Armee unter General der Panzertruppe Walther Wenck, das AOK 11 so schnell wie möglich verstärken. Ziel war eine Offensivoperation, um eine Verbindung zu den im Ruhrkessel befindlichen deutschen Verbänden herzustellen.

Wenn auch die zugrunde liegenden Überlegungen mit der Realität nichts mehr zu tun hatten, gab es doch noch so etwas wie eine strategische Idee – in diesem Fall wohl eher Fantasie – und eine bis zum letzten Moment funktionierende Befehlskette.

Hitler hatte die wichtige Rüstungsschmiede am 2. April zur „Ruhrfestung“ erklärt, die bis zum Letzten verteidigt werden sollte. Die „Ruhrfestung“ wurde für die deutschen Verbände allerdings zum Ruhrkessel, in dem sie eingeschlossen waren und aufgerollt wurden. Denn anders als von Hitler erwartet griff die US-Armee, die im Ruhgebiet verschanzten, deutschen Truppen an und nahm dem NS-Staat endgültig die großen Rüstungsanlagen.

Ob wenig später auch eine „Festung Harz“ formal erklärt wurde oder lediglich der Verteidigungsbereich Harz umgangssprachlich als Festung bezeichnet wurde, ist ein in letzter Zeit umstrittenes Thema. Über Sinn und Unsinn solcher Wortklaubereien lässt sich trefflich streiten. Festzuhalten bleibt, dass es sich bei „Festung Harz“ um einen zeitgenössischen Begriff handelt und dass eine solche Festung nie existierte.


Befehlsausgabe 1945; bis zur letzten Minute funktionierte der Militärapparat der Wehrmacht. Das Attentat vom 20. Juli 1944 blieb der einzige Versuch aus dem Offizierskorps, Hitler und den Nationalsozialismus zu beseitigen. Danach gab es nur noch kritiklose Unterordnung unter das Regime. Auch wurde der Hitlergruß in der Wehrmacht als einzig zulässiger Gruß eingeführt und verstärkt nationalsozialistische Führungsoffiziere eingesetzt.

Dennoch wurde der Harz zum Fluchtpunkt für 100.000 Soldaten aller Waffengattungen. In der Masse handelte es sich um demoralisierte und nur noch mangelhaft ausgerüstete Einheiten. Die Luftwaffe existierte nicht mehr, schwere Geschütze und Panzer waren kaum noch vorhanden. In allen Belangen waren die US-Truppen den deutschen weit überlegen.

Dazu General der Artillerie Maximilian Fretter-Pico, der am 2.4.1945 das Kommando im Wehrkreis IX (Kassel) übernahm aus dem ein stellvertretendes Generalkommando IX. AK. gebildet wurde. Außerdem war Fretter-Pico vorrübergehend Befehlshaber des LXVII. AK..  Hinhaltend Widerstand leistend zog sich das stellv. IX. AK. bzw. das LXVII. AK. – beide im Laufe des Rückzugs der 11. Armee unterstellt – von Kassel über Hann Münden, Göttingen, schließlich Bad Lauterberg ostwärts Braunlage zurück. Fretter-Pico schilderte seine Situation schonungslos: „Die Lagekarte meines Abschnittes zeigte, daß es keine geschlossene Front mehr gab, größere geschlossene Truppenverbände ebenfalls nicht. Örtliche oder operative Reserven irgendwelcher Art waren nicht vorhanden. Keinerlei rückwärtige Stellungen erkundet, geschweige irgendwie vorbereitet. An allen großen Straßen und brauchbaren Verkehrswegen waren von der Bevölkerung unter dem Druck der Partei Straßensperren, taktisch meist falsch und unbrauchbar, angelegt worden. … Der Nachschub arbeitete kaum mehr. Nur die Verpflegung lief aus vorhandenen Verpflegungslagern noch gut. Es herrschte großer Munitionsmangel, ebenso Mangel an Nachrichtenmitteln und an Betriebsstoff. Ständig mussten stillgelegte Kraftfahrzeuge gesprengt werden. Ersatz an Waffen und Gerät kam nicht mehr heran. Die Schlagkraft der übermüdeten Truppe war nur noch gering. Es herrschte fühlbarer Offiziersmangel, schwere Ausbildungsmängel bei Unteroffizieren und Mannschaften waren festzustellen.“[1]

Den geschlagenen deutschen Restverbänden blieb eigentlich nur sich zu ergeben – oder der Rückzug. Ein deutscher Gegenstoß vom Harz ins Ruhrgebiet war völlig illusorisch. Die deutschen Stäbe arbeiteten trotzdem an der Idee und verlegten die im Zusammenhang mit dem 12 AOK in Aufstellung befindliche „Infanterie-Division Potsdam“, am 10. April von Döberitz bei Berlin über Halberstadt nach Blankenburg. Dort sollte das 12 AOK sein vorläufiges Hauptquartier finden.  Die „Infanterie-Division Potsdam“ kam jedoch nur noch teilweise und nicht als geschlossener Verband, im Harz an. Es war ohnehin zu spät.

Nach ihren letzten Versuchen sich den Amerikanern entgegenzustellen, zogen sich die dem AOK 11 unterstellten Verbände ins Gebirge zurück und strebten Richtung Blankenburg.

Für die amerikanischen Truppen ging es darum den Harz auf schnellstem Wege zu umgehen, um in den Aufstellungsraum der 12. Armee hineinzustoßen. Damit würde auch das mitteldeutsche Industrierevier mit den für die Treibstoffproduktion wichtigen Leuna-Werken in die Hände der Alliierten fallen. Gleichzeitig galt es die deutschen Verbände im Harz anzugreifen, sie in die Defensive zu treiben und ihnen ihr Widerstandspotential zu nehmen.

Auf der anderen Seite legte es die Wehrmachtsführung darauf an, sich den Harz als Operationsraum zu erhalten und den amerikanischen Vormarsch zu stoppen oder ihn zumindest zu verzögern. Entscheidend dabei war, das Eindringen der US-Truppen in das Gebirge zu verhindern.

Die Überlegenheit der amerikanischen Streitkräfte war erdrückend und ihr Angriff verlief gleichzeitig auf breiter Front. Im Süden und Norden wurde der Harz von den Hauptkräften der 1. und 9. US-Armee umgangen. Den Angriff auf die deutschen Verbände im Harz führte das VII U.S. Corps, mit der 3. US-Panzerdivision, genannt „Spearhead“, der 1. US-Infanteriedivision, genannt „Big Red One“ sowie der 104. US-Infanteriedivision, genannt „Timberwolves“.

Die 104. US-Infanteriedivision war ein kampferprobter Großverband. Am 7. September 1944 in Frankreich gelandet, war die Division im Oktober an der Befreiung Belgiens und Hollands beteiligt. Im Dezember kämpften die Timberwolves bei der Abwehr der Ardennen-Offensive und anschließend im Hürtgenwald, der verlustreichsten Schlacht an der Westfront im II. Weltkrieg, über die in deutschen Nachrichten nicht berichtet werden durfte. Am 8. März 1945 erreichte die Division Köln, war an der Schließung des Ruhrkessels beteiligt und eroberte am 1. April Paderborn. Schließlich überschritt die 104. US-amerikanische Infanteriedivision als Teil des VII U.S. Corps die Weser in Richtung Harz.

Nachdem der US-Vormarsch im Vorland zwischen Südharz und Eichsfeld bzw. Hainleite am 8. April mit Schwung begann und die amerikanischen Truppen 30 Kilometer und mehr am Tag zurücklegten, trafen sie am 10. und 11. April auf den Widerstand deutscher Restverbände die sich ihnen bei Lautenthal, Osterode, Herzberg und Bad Lauterberg entgegenstellen.

Den Angriff auf Bad Lauterberg führte die 104. US-amerikanische Infanteriedivision, genannt „Timberwolves“ (dt.: Waldwölfe). Das Divisionsemblem, das die Soldaten auf ihren Ärmeln – und in einigen Fällen auch an den Helmen – trugen, zeigt den Kopf eines heulenden Wolfs. „Nothing in Hell must stop the Timberwolves“ (dt.: Nichts in der Hölle darf die Waldwölfe stoppen) lautete die Division-Devise. Daneben wurde die 104. Infanteriedivision auch „Night Fighters“ genannt, da die Truppe, als erste überhaupt, im Nachtkampf ausgebildet war. In Bad Lauterberg kam es auch zu nächtlichen Gefechten.

 

Abzeichen der Timberwolves, als Aufnäher auf den Uniformjacken getragen. Zeitgenössisches Original

 

Grundsätzlich konnten die deutschen Einheiten dem umfassenden Angriff der US-Truppen nur noch hinhaltenden Widerstand entgegensetzen. Überall wo sich deutsche Einheiten zum Kampf stellten, waren sie schnell geschlagen, nirgendwo gelang es eine Widerstandslinie zu halten. Es gab aber auch weiterhin überzeugte Nationalsozialisten und Soldaten, die den Durchhaltebefehlen bis zuletzt Folge leisteten. Allen voran die Elite-Einheiten des NS-Staates, zu denen die Waffen-SS und die Fallschirmtruppe gehörten. Aus ihren Resten wurden letzte einsatzfähige Formationen zusammengestellt.

Am 10. April marschierten die Amerikaner in Goslar ein, am 11. April in Ilsenburg. Am selben Tag fielen Osterwieck und Halberstadt ohne Gegenwehr. Auch Herzberg und Osterode wurden am 11. April nach heftigen Kämpfen eingenommen. Nordhausen und damit Mittelbau-Dora wurden ebenfalls am 11. April 1945 durch die 1. US-Armee befreit.

Bereits am 12. April konnten die Amerikaner einen Brückenkopf südlich von Magdeburg bilden.

An diesem Tag, an dem längst alles entschieden war, begannen die Kämpfe um Bad Lauterberg. Für die Amerikaner kam der heftige Widerstand unerwartet.

Die Schickert-Werke Bad Lauterberg

Der freischaffende Ingenieur Hellmuth Walter, beschäftigte sich bei der Germaniawert Kiel, mit technischen Verbesserungen. Darunter fiel die Entwicklung einer neuartigen Gastrubine. Im April 1933 kam Walther auf die Idee die Gastrubine in Art einer Wärmekraftmaschine als Antrieb in ein neues schnelles U-Boot einzusetzen. Als Energieträger sollte hochprozentiges Wasserstoffsuperoxid, heute Wasserstoffperoxid (H202), als genutzt werden. Eine technisch bahnbrechende Erfindung. Bereits Ende des Jahres erhielt Walther den Auftrag, einen Entwurf für ein solches U-Boot auszuarbeiten.

Damit begann die Geschichte des Walther-Antriebs. D.h. U-Boot-Antrieb, Schnellboote, Torpedos, die Rakete V 2, der erste Düsenjäger Messerschmidt 262, der Raketenjäger Messerschmidt 163, wegen seiner Größe und gedrungenen Form, „Kraftei“ oder „Komet“ genannt, die Flügelbombe V 1, die Flakabwehrrakete „Enzian“, der Raketenjäger „Natter“ – alle späteren „Wunderwaffen“ des NS-Staates basierten auf diesem Antrieb.

Produktionsstätten für die nötigen Mengen des hochprozentigen Wasserstoffsuperoxids, zu Tarnung „T-Stoff“ genannt, mussten erst geschaffen werden. Wobei von vornherein alles, was mit dem T-Stoff zu tun hatte strenger Geheimhaltung unterlag.

 

Der Antrieb von U-Booten, Torpedos, V(ergeltungs)-Waffen und geheimen Rüstungsprojekte in der Endphase des II. Weltkrieges basierte auf T-Stoff. Die weltweit größte Produktionsstätte waren die Schickert-Werke im Odertal bei Bad Lauterberg. Ziel der V-Waffen war Terror gegen die Zivilbevölkerung. London und andere Städte sollten in Schutt und Asche gelegt werden, um die Kriegsmoral zu erschüttern. Titelbild eines deutschen Flugblatts das über England abgeworfen wurde.

 

Nach einigem Suchen kam man auf die Standorte Odertal bei Bad Lauterberg und Rhumspringe. Die kontinuierliche Wasserversorgung durch die Odertalsperre bzw. die Rhume zur Kühlung der Elektrolyse und zur Erzeugung von Wasserdampf war gewährleistet.

Beide Orte lagen zentral im Deutschen Reich und es gab keine wichtige Industrie, die für feindliche Spionage und strategische Bomberangriffe in Frage kam. Zudem war die Anlage in Bad Lauterberg durch ihre Lage hinter dem langestreckten Bergzug des Bischofshals gegen mögliche Tieffliegerangriffe geschützt.

Im Odertal existierte ein Gleisanschluss zur Stichstrecke (eingleisiger Verkehr) St. Andreasberg/Silberhütte – Scharzfeld und damit zum Bahnanschluss Northeim – Nordhausen. Einen ähnlicher Gleisanschluss Richtung Herzberg gab es in Rhumspringe.

Planung und Aufbau des großen Industriekomplexe wurde der Firma Schickert übertragen und zum Unternehmensführer und Direktor Otto Schickert ernannt.

Die Werke in Bad Lauterberg und Rhumspringe waren Tochterunternehmen der Elektrochemischen Werke München AG (Höllriegelskreuth), wo ebenfalls ein Produktionsstandort für T-Stoff entstand.

Im Dezember 1938 gab das Reichsluftfahrtministerium die Order das der „Ausbau des Werkes Lauterberg sofort in vollem Umfang (d.h. alle 5 Einheiten) erfolgen“ sollte und „Mit der Projektierung eines zweiten Werkes von 5 Einheiten (Rhumspringe) soll sofort begonnen werden. Diese Arbeiten sind mit größtmöglicher Beschleunigung durchzuführen“.[2]

Mit dem Bau der ersten Produktionshalle wurde im Januar 1939 begonnen. Zum Gesamtkomplex der Schickert Werke in Bad Lauterberg zählten zirka 100 Gebäude. Herzstück waren aber die fünf Produktionshallen mit dem Tarnnahmen „Anlage Z“.

Die Produktion von T-Stoff begann im Januar 1941. Während des laufenden Betriebes gingen die Bauarbeiten an den anderen Hallen weiter, sie stiegen nach und nach in die Produktion ein. Bedingt durch den Krieg wurden Facharbeiter rar. Schickert füllte die Lücke über die Arbeitsvermittlung Wolfsburg, wo er zunächst 350 Italiener anforderte. Dort waren seit Februar 1939 ca. 2.000 Italiener beim Bau des Volkswagenwerkes tätig. Diese Fachleute kamen im April 1941 ins Odertal. Halle 5 konnte aber erst im Dezember 1944 endgültig fertig gestellt werden.

Bis 1944 arbeiteten in den Schickert-Werken etwas mehr als 1.200 Arbeiter und Angestellte. Für die allgemeine Überwachung des Personals sorgte der Marinedienst.

Wobei die Arbeiter ausgesucht wurden und es als Privileg galt ein „Gefolgschaftsmitglied“ bei Schickert zu sein. Anfangs arbeiteten nur „Parteigenossen“ bzw. Angehörige der SA bei Schickert. Hunderte von Arbeitern pendelten aus den umliegenden Orten tagtäglich ein.

Ein Teil der Gefolgschaftsmitglieder bekam die Möglichkeit in Bad Lauterberg ein kleines Haus mit Grundstück zu erwerben, das man dann durch jahrelangen Lohnabzug abbezahlen sollte. In der Aue entstanden 24 Doppelhäuser, das Neubaugebiet erhielt den Namen Zechenstraße.

Zur Geheimhaltung waren auch die einfachen Arbeiter verpflichtet. Genaue Kenntnis über die Fertigungsproduktion und die Verwendung hatten nur ganz wenige Personen. Nach außen hin wurde von der Produktion von Backhilfe bzw. einer Verseifungsanlage im Rahmen des Vierjahresplans gesprochen. Aus Gründen der Geheimhaltung wurde auch keine SS zur Sicherung der Anlage eingesetzt, sondern ein Werkschutz in unauffälliger grauer Uniform, der oft auch in Zivil auftrat. Das Werk sollte keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen, weshalb dort auch keine KZ-Häftlinge zum Einsatz kamen.

Mit Beginn des Krieges änderte sich die Lage. Mehr und mehr Gefolgschaftsmitglieder meldeten sich freiwillig bei der Wehrmacht oder wurden eingezogen.

Das führte zum Einsatz von 400 sogenannte Fremdarbeiter_innen, aus Russland und der Ukraine. Sie waren mit Versprechungen freiwillig geworben worden, wurden in Deutschland aber als billige Arbeitskräfte ähnlich wie Gefangene behandelt. Kenntlich waren sie durch ein blaues Rechteck mit dem Wort „Ost“, weiß im weißen Rand, an der Kleidung. Zu den Fremdarbeiter_innen zählten auch Holländer und etwa 30 bis 40 Flamen (Männer und Frauen). Diese mussten kein Abzeichen an der Kleidung tragen.

 

Aufnäher „Ost“ für „Fremdarbeiter“ bzw. Arbeiterinnen aus Russland und der Ukraine, die an der Kleidung zu tragen waren. „West“-Aufnäher für Arbeitskräfte aus Belgien und Holland gab es nicht.

Die ausländischen Arbeiterinnen und Arbeiter waren in einem Lager außerhalb des Werkgeländes untergebracht und wurden jeden Tag von einer Wachmannschaft hin und her eskortiert. Da einige aus Schwäche in die Maschinen zu fallen drohten, wurde die zunächst nicht ausreichende Ernährungslage verbessert, was sich auch auf die Motivation und die Arbeitsleistungen auswirkte. Fälle von Sabotage wurden nicht bekannt. Gearbeitet wurde rund um die Uhr in drei Schichten.

Obwohl es im Odertal auch Kriegsgefangenlager gab, wurden Gefangene aus Sicherheitsgründen nicht bei Schickert eingesetzt. Anders als im benachbarten Metallwerk Odertal, wo Munition produziert wurde.

Nach einigen Verzögerungen begannen im April 1943 die Arbeiten an den Schickert-Werken in Rhumspringe. Da deutsche Fachkräfte und Arbeiter kaum noch vorhanden waren, wurden einige hundert Italiener zum Bau eingesetzt, bald kamen Holländer und Polen hinzu, die dann mit französischen und russischen Kriegsgefangenen weiter aufgestockt wurden. Die Anlage in Rhumspringe wurden nur zum Teil fertiggestellt und ging nicht mehr in den Betrieb.

Anders in Bad Lauterberg, wo die weltweit größte Industrieanlage zur Herstellung von konzentriertem Wasserstoffsuperoxid unerkannt und kontinuierlich T-Stoff lieferte.

Noch größere Bedeutung erlangte der Rüstungsstandort im Harz, nachdem am 19. Juli 1944 das Stammwerk zur T-Stoffproduktion bei einem Bombenangriff auf München zerstört wurde. Die Elektrochemische Werke in Höllriegelskreuth lag in Trümmern und konnte nicht wieder aufgebaut werden.

Auf das Werk im Odertal fiel keine Bombe. Erst am 4. April 1945, kurz bevor die amerikanischen Truppen das Werk erreichten, wurde der Betrieb eingestellt.

Dass Schickert-Werk sollte unzerstört bleiben. Eine entsprechende telefonische Anordnung vom Ministerium Speer aus Berlin erging am 10. April. Laut Befehl sollte die Anlage weder gesprengt oder anderwärtig unbrauchbar gemacht – noch verteidigt werden, jede Beschädigung war zu vermeiden. Oberst Köttgen vom Rüstungskommando Hannover bestätigte diese Mitteilung schriftlich, die kurz darauf dem Kampfkommandanten von Bad Lauterberg, Major Rudolf Berneike, vorgelegt werden konnte. Auf das Werksgelände fielen nur etwa 20 verirrte Werfer Granaten, die kaum Schaden anrichteten.

Nachdem Bad Lauterberg von der US-Armee eingenommen war, zogen sich die Fallschirmjäger befehlsmäßig zurück, ohne dass es im Odertal zu Kampfhandlungen kam. Die Schickert-Werke blieben unbeschädigt.

Fallschirmjäger

Fallschirmjäger gehörten zu den Elite-Einheiten des nationalsozialistischen Regimes. Hervorgegangen war diese Truppengattung aus der 1933 vom Preußischen Innenmister Hermann Göring aufgestellten „Polizeiabteilung z.b.V. (zur besonderen Verwendung) Wecke“, der „Landespolizeigruppe General Göring“ und Teilen der SA-Standarte „Feldherrenhalle“. All diese Formationen bestanden aus überzeugten Nationalsozialisten. Ausschließlich aus dieser „Elite“ wurden Ende 1935 Freiwillige für die am 29. Januar 1936 neu aufzustellende Fallschirmtruppe gesucht.

Der Anteil überzeugter Nazis bei der Fallschirmtruppe war nur mit der Waffen-SS vergleichbar. Das Offizierskorps und die älteren Veteranen rekrutierten sich fast ausnahmslos aus NSDAP-Mitgliedern.

Am 2. März 1944 wurde im Raum Reims (Frankreich), die 5. Fallschirmjäger-Division als Großverband der Luftwaffe neu aufgestellt. Sie gliederte sich in elf Regimenter, darunter auch das Fallschirmjäger-Regiment (FjRgt) 15 und das Fallschirm-Pionier-Bataillon 5. Ein Bataillon umfasst 300 bis 1.200 Mann.

Der Verband war an der Invasionsfront eingesetzt worden und hatte dort bereits schwere Verluste erlitten. Mit neuen Rekruten aufgefrischt, nahm die 5. Fallschirmjäger-Division an der Ardennen Offensive teil und erlitt erneut erhebliche Verluste. Schließlich gehörte sie zu den Verbänden die Ende März 1945 im Ruhrgebiet zusammengezogen wurden. In den erbittert geführten Kämpfen wurde die 5. Fallschirmjäger-Division aufgerieben. Nur wenigen gelang es aus dem Kessel zu entkommen. Darunter Teile des FjRgt 15 mit dem Fallschirm-Pionier-Bataillon 5 unter Major Berneike. Erneut kamen sie gegen die am 26. März bei den Kämpfen gegen die aus dem Brückenkopf von Remagen ausbrechenden amerikanischen Divisionen zum Einsatz. Dabei wurde das FjRgt 15 von der 5. Fallsch. Div. abgesprengt und in die 11. Armee eingegliedert.

 

 

Fallschirmjäger, zu erkennen an ihren randlosen Helmen, gehörten zu den letzten Elite-Einheiten des NS-Staates die im Harz kämpften.

 

Der Chef des Regiments, Major Rudolf Berneike war seit 1935 Berufssoldat und hatte den Krieg vom ersten Tage an mitgemacht. Zunächst war er beim Kampfgeschwader 27. Anfang 1944, nach seiner vierten Verwundung, wurde Berneike als Hauptmann zu den Fallschirmjägern versetzt. Im Februar 1945 erfolgte die Beförderung zum Major, gleichzeitig erhielt er das Kommando über das FjRgt 15. Berneike gehörte zu denen, die den Krieg nicht aufgeben wollten. Er war Träger der silbernen silberne Nahkampfspange für 68 nachgewiesene Nahkampftage. Als Kommandeur des 15. FjRgt des 5 FJD wurde Berneike am 1. Januar 1945 das Deutsche Kreuz in Gold verliehen. Am 15. März 1945 erhielt er das Ritterkreuz, die höchste Kriegsauszeichnung des NS-Staates.

Vorboten des Unheils

Das die Front näher rückte nahm man in Bad Lauterberg durch deutsche Truppen wahr, die sich ab Anfang April in den Harz zurückzogen. Mehr und mehr Einheiten, teilweise mit Fahrzeugen, viele aber marschierend, durchquerten die Stadt. Man war in Eile. Ein deutscher Panzer blieb auf der Straße vor den Baryt-Werken liegen. Niemand reparierte ihn mehr – Kinder funktionierten den Stahlkoloss bald zum Spielgerät um.

In den Kolonnen, die in den Harz marschierten, waren auch Soldaten ohne Waffen. Eine Bad Lauterbergerin, die das sah, fragte die Landser verwundert: „Womit wollt ihr denn schießen?“ „Mit Erbsen“[3], kam es postwendend zurück.

Je tiefer sich die Truppen in den Harz zurückzogen, umso deutlicher wurden die Auflösungserscheinungen. Noch Jahre später konnte man bei Niedrigwasser zahllose deutsche Stahlhelme im Schlamm des Oderstausees auftauchen sehen.

Oft das letzte gemeinsame Familienfoto, der Vater stolz in Uniform auf Fronturlaub, kurz darauf jahrelang im Krieg und dann in Gefangenschaft oder gefallen; Frau und Kinder in der Heimat auf sich gestellt, am Kriegsende im Bunker und Not. „Familie Ludwig – Bad Lauterberg im Harz – um 1944“, nach einer alten Fotografie, Kunst und Kampf/Bernd Langer, Öl auf Leinwand, 50 cm x 70 cm, 1998.

 

Von den Bombenangriffen auf die großen Industriezentren war man in Bad Lauterberg durch die vielen aus dem Rheinland, Hannover und anderen Städten Evakuierten aus erster Hand informiert. Die Harzstadt selbst hatte großes Glück. Die Geheimhaltung bezüglich der Schickert-Werke funktionierte.

Für verheerende Bombardierungen in den letzten Kriegstagen gab es in der Umgebung Beispiele. Nachdem die großen Städte und Industriezentren von Alliierten Flächen-Bombardements zerstört und teilweise bereits erobert waren, verlegte sich das Command der Royal Air Force auf die kleineren, noch nicht besetzten Städte. Auch wenn dies keinerlei militärischen Zwecke erfüllte. Ziel diese zeitgenössisch als „Terrorangriffe“ bezeichneten Strategie war es, die Zivilbevölkerung zu treffen. Selbst Städte, die wenige Tage später von alliierten Truppen besetzt wurden, ereilte oft noch das Schicksal. Nordhausen trafen am 3. und 4. April zwei verheerende Luftangriffe. Insgesamt 2.386 Tonnen Bomben zerstörten über 75 Prozent der Kreisstadt und forderten mindestens 8.800 Menschenleben. Halberstadt war am 8. April durch mehrere Bombenangriffe fast zur Hälfte zerstört worden, mehr als 2.000 Menschen fanden den Tod. Von solchen Verheerungen blieb Bad Lauterberg verschont. Das lag vor allem an der Größe der Stadt. Halberstadt zählte offiziell 57.200 Einwohner, Nordhausen 42.580 Einwohner, Bad Lauterberg hatte hingegen lediglich 8.140 Einwohner. Damit war die Stadt schlichtweg zu klein um als Ziel für das Bomber Command in Frage zu kommen. Wenn allerdings bekannt gewesen wäre, dass sich die weltweit größte T-Stoff-Produktionsanlage im Odertal befand, wäre von der Fabrik und Bad Lauterberg nicht viel übriggeblieben.

Aber auch ohne Flächenbombardement hielt der Krieg in der Harzstadt furchtbare Ernte.

Dafür stand Montag, der 9. April 1945. In der Stadt bot sich das mittlerweile gewohnte Bild durchziehender deutscher Einheiten. Aber es war wolkig, so dass keine Gefahr durch alliierte Tiefliegerangriffe drohte. Doch am Nachmittag riss die Wolkendecke auf. Bei klarer Sicht kreiste ein einzelner Jagdbomber am Himmel über der Aue. Es gab kein Flakfeuer. Das fast friedliche Bild täuschte. Unter sich entdeckte der Pilot eine Menschenschlange. Vor der Bäckerei Hille an der Scharzfelder Straße, bei der Gaststätte „Goldene Aue“, sollte es Brot auf Marken geben. Vor allem Frauen und Kinder warteten auf ihre Rationen. Bäckermeister Hille schob gerade das Brot in den vorgeheizten Ofen, als der Flieger angriff. Im letzten Moment nahmen die Menschen die Gefahr wahr, versuchten schreiend auseinanderzulaufen als zwei genau gezielte Bomben in das Gebäude einschlugen. Blitzende Detonationen, Rauchsäulen; außer Trümmern blieb von der Bäckerei nichts übrig und es bot sich ein Bild des Grauens. Staub, Blut, verstümmelte Menschen, einige tödlich Getroffene richteten sich noch einmal auf, bevor sie tot zusammenbrachen. Ein Zeitzeuge beschrieb die Situation so „Frau Hille stand auf dem Trümmerhaufen. Sie hatte sich zufällig in der Mehlkammer hinter der Backstube aufgehalten, als die Bomben fielen und war daher unverletzt geblieben. Herr Hille war zunächst nicht zu finden. Die Druckwelle hatte die Wand des Backhauses eingedrückt, und er lag eingeklemmt mit einem Bein an der heißen Ofentür. Seine Tochter fanden wir auf dem Hof. Sie war tot. Frau Rab, die mit ihrer Tochter im 1. Stock über dem Laden wohnte, wurde nie gefunden. Die Bomben waren – wie sich später herausstellte – unmittelbar neben dem Laden in die Wohnstube eingeschlagen. Auch in das Nachbarhaus wurde ein großes Loch gerissen.“[4] Viele Verletzte und insgesamt 37 Leichen wurden geborgen. Der 15-jährige Günther Giersdorf erlag erst 14 Tage später seinen Verwundungen.[5]

Die teilweise entsetzlich entstellten Leichen wurden auf dem Gelände der benachbarten Blechwarenfabrik zusammengetragen. Bad Lauterberger die Angehörige vermissten mussten die Toten identifizieren. Vor den Kämpfen um die Stadt, war es nicht mehr möglich, die Toten zu beerdigen.

Bad Lauterberg wird verteidigt

Am 11. April 1945 besetzten die 5. Fallschirmjäger-Division unter Befehl von Major Berneike Bad Lauterberg. Der zum Stadtkommandanten ernannte Berneike verfügte über drei Kompanien, eine lag am Nordrand bei Scharzfeld; zwei Kompanien befanden sich in Bad Lauterberg. Über die Anzahl der Soldaten existieren unterschiedliche Angaben. Meist ist von insgesamt zirka 100 Fallschirmjägern die Rede, einige Quellen beziehen diese Zahl aber lediglich auf das Fallschirm-Pionier-Bataillon 5. Dazu kam eine Infanterieeinheit aus Versprengten. Wenn auch die genaue Anzahl der Soldaten über die Berneike den Befehl hatte unbekannt ist, können es nur einige wenige hundert gewesen sein. Außer einem Flak-Geschütz in der Aue ist auf deutscher Seite über weitere Artillerie nichts bekannt. D.h. es standen nur Panzerfäuste und andere Infanteriewaffen zur Verfügung. Auch wenn die Ausrüstung mit dem Sturmgewehr 44 für die Zeit modern war, blieb die militärische Verteidigung von Bad Lauterberg von vornherein ein völlig aussichtsloses Unterfangen. Berneike sollte die Stadt aber so lange als möglich halten. Ihm war mittgeteilt worden, dass bald eine Verstärkung von 1.000 Mann eintreffen würde.

Neben den regulären Militäreinheiten war auch der Volkssturm aufgerufen. Wenn dieser zum Einsatz gekommen sein sollte, dann wohl nur zu Unterstützung in Form vom Bau von Panzersperren u. ä. Von einer Beteiligung an den Kämpfen ist nichts bekannt.

Von Anfang an gab es auch Stimmen, die sich gegen eine Verteidigung der Stadt aussprachen. Darunter war sogar der Ortsgruppenleiter Wilhelm Kühnhold.[6] Ganz anderer Meinung war Bürgermeister Otto Hachmeister. Das SS-Mitglied wollte Bad Lauterberg um keinen Preis kampflos aufgeben.

Gegen 16 Uhr wurde eine städtische Abordnung in Berneikes Gefechtsstand, der sich in der Volksbank (heute Schulstraße 52) befand, vorstellig. Als Sprecher trat der 1. Beigeordnete (stellvertretende Bürgermeister) Peschau auf. Er bat Berneike mit den Worten: „Ich bin 72 Jahre alt, mein Leben ist verwirkt. Ich bitte nicht um mein Leben, sondern für das von 8.000 bis 10.000 Personen, vor allem der Alten, Kinder, sowie der vielen Bombenflüchtlinge aus dem Rheinland, Hannover, usw.,“[7] auf die Verteidigung zu verzichten. Für Berneike stellten diese Äußerung Defätismus dar. Peschau wurde sofort verhaftet und der Stadtkommandant wollte ihn erschießen lassen. Die Exekution konnte durch den vehementen Einspruch einiger Bad Lauterberger Bürger abgewendet werden. Freiwillig würde Berneike nicht einlenken.

Erheblicher Widerstand

Am Vormittag des 11. April stieß eine Kampfgruppe der 3. US-Panzerdivision aus dem Raum Silkerode kommend auf Bartolfelde vor. Am Dorfrand hatten sich Fallschirmjäger und eine Einheit Waffen-SS mit einem Pak-Geschütz verschanzt. Als der Spitzenpanzer auf der Höhe des Hangs, ein Flurname, auftauchte, schossen die deutschen Soldaten ihn um 9:43 Uhr ab. Sofort zogen sich die Amerikaner zurück und forderten Luftunterstützung an. Binnen acht Minuten, um 9:51 Uhr, bombardierten acht Jagdbomber die Stellung am Ortseingang und setzten ihre Bordwaffen ein. Zwei Gebäude gerieten in Brand, weitere wurden beschädigt. Den Fallschirmjägern blieb nur der Rückzug in Richtung Bad Lauterberg und die Kampfgruppe der 3. US-Panzerdivision besetzte Bartolfelde. Von hier ging es für die Einheit aber nicht in Richtung Bad Lauterberg weiter. Die 3. US-Panzerdivision schwenkte in Richtung Tettenborn ein. Bartolfelde wurde von der 104. US-Infanteriedivision übernommen.

Einen direkten Vorstoß über die Reichsstraße 27 (heute B 27) von Scharzfeld nach Bad Lauterberg wollten die Timberwolves nicht führen. Am damaligen Hotel Zoll vorbei führte die Straße direkt am Waldrand entlang und machte vor dem Ortseingang Bad Lauterberg eine scharfe Rechtskurve, im Volksmund als Schrottkurve bekannt. Das war von Süden aus der Einzige Zugang zur Stadt.

Im Jahr 1945 endete die Straße auf dem Oderfeld beim Sägewerk Blödhorn als Sackgasse. Dahinter floss die Oder und war ein breiter Streifen Auenwald. Über das weitverzweigte, sumpfige Gelände ließ sich kein Angriff mit Panzern führen.

Der wäre nur über die R 27 möglich gewesen. Die war aber mit Panzersperren und einer 8,8 cm Flak in der Nähe der Kurve gut gesichert. Ein Angriff an dieser Stelle wäre verlustreich gewesen. Doch der Engpass war leicht zu Umgehen, wenn man der Barbiser Straße nach dem keine fünf Kilometer entfernte Bartolfelde folgte und von dort Angriff.

Die Oderbrücke beim Hotel Zoll bei Barbis war zwar beim deutschen Rückzug gesprengt worden aber die hier sehr flache Oder stellte für Fahrzeuge kein Hindernis da. Barbis selbst war nicht verteidigt und wohl bereits unter Kontrolle der 3. US-Panzerdivision die nun den Timberwolves das Feld überließen.

In Bad Lauterberg alarmierte die Polizei die Bevölkerung am 11. April gegen 17 Uhr und forderte sie auf, mit Proviant für drei Tage ausgestattet ihre Häuser zu verlassen und die Stadt zu räumen. Große Bunker waren beim Bahnhof am Eichenkopf, am Hausberg, am Scholben, an der Koldung und im Heibeektal vorhanden. Wer hier keinen Platz fand, suchte Unterschlupf in den umliegenden Tälern.

Jeder musste sein überleben selbst organisieren. An eine Lebensmittel- oder Medizinische-Versorgung der Zivilbevölkerung war nicht zu denken. Wer konnte, führte Ziegen und Kühe mit in die Wälder, wo die Flüchtlinge unter freiem Himmel campierten. Zum Glück herrschte sonniges Frühlingswetter. Zwar waren die Nächte kalt, aber es regnete wenigstens nicht.

Es bedarf nicht viel Fantasie sich auszumalen, was eine solche Situation insbesondere für alte Menschen und kleine Kinder bedeutete. Hinzu kamen Unsicherheiten. Beschuss war man hilflos ausgeliefert. Tatsächlich gab es Verletzte durch verirrte Granaten. Bald gingen Gerüchte von Plünderungen durch Fremdarbeiter und ausgebrochene Kriegsgefangene um.

Wo sich Schutzräume für die Kriegsgefangenen und Arbeitssklaven befanden ist nicht überliefert – in den großen Bunkern fanden sie jedenfalls keinen Platz. Doch außer den öffentlichen Bunkern existierten firmeneigene Schutzräume, darunter auch einige recht große wie bei den Schickert-Werken und einige kleinere, privat angelegte bzw. behördliche.

Am sichersten schienen die großen öffentlichen Bunker zu sein, die sofort überbelegt waren. Beispielsweise war der Bunker im Scholben für 300 Menschen ausgelegt aber mit mehr als 1.000 belegt.[8] Denn neben der berechneten Einwohnerzahl gab es viele Evakuierte und Flüchtlinge in der Stadt. Zunächst vollzog sich aber alles in Ruhe, und jeder war froh, wenn er einen Platz im Bunker ergattert hatte.

Die Zivilisten hatten die Stadt rechtzeitig geräumt und sich in Sicherheit gebracht. Denn am Morgen des 12. April setzte die 104. US-Infanteriedivision ihren Vormarsch über Barbis fort und schwenkte bei Bartolfelde auf Bad Lauterberg ein.

Starkes Abwehrfeuer von den Höhen des Butterbergs zwang die Amerikaner, ihren Vormarsch einzustellen. Auch ein Versuch, durch das Wiesenbektal vorzudringen, wurde von den Fallschirmjägern abgewiesen.

Daraufhin zogen die US-Truppen Artillerie heran die sie zwischen Barbis und Bartolfelde stationierten und begannen mit dem Beschuss der deutschen Stellungen. Erste Granaten schlugen in Bad Lauterberg ein und setzten Gebäude in der Hauptstraße und Schulstraße in Brand.

Spähtrupps der Timberwolves erkundeten das Gelände und fanden über die Höhen zwischen Bartolfelde und Barbis günstige Ausgangpositionen für den Angriff auf die Stadt. In den nächtlichen Morgenstunden des 13. April, stieg das 3. Bataillon des 413 Infanterie Regiment „Seagulls“ (dt.: Stummöven) hier an den Stadtrand hinab und drang über die Oder in die südlichen Stadtteile, die Aue, ein. Die Devise der „Seagulls“ lautete „Fortior ex asperis“ (sinngemäß: Was uns nicht umbringt, macht uns härter). Ihr Angriff traf auf erheblichen deutschen Widerstand. Nur unter Verlusten kamen die Amerikaner voran, so wurde ein Sherman-Panzer von den Fallschirmjägern mit einer Panzerfaust abgeschossen.

Während in den Straßen gekämpft wurde, herrschten in den Bunkern katastrophale Zustände.

Als sanitäre Einrichtungen gab es lediglich einige Abortkübel, die nach kurzer Zeit gefüllt, weder zu benutzen waren noch ausgelehrt werden konnten. Die Notdurft musste in den Ecken des Bunkers verrichtet werden, in Kürze machte sich ein bestialischer Gestank breit. An ausreichende Lüftung bei Überbelegung war bei der Konzeption der Bunker nicht gedacht worden. So dass es nicht nur Stank, sondern die Luft stickig und sauerstoffarm war. Etliche Menschen wurden durch Sauerstoffmangel ohnmächtig. In Feuerpausen wurde versucht Sauerstoffflaschen zu besorgen, was aber nicht für alle Bunker gelang.

Der Boden war feucht, auch von der Decke rieselten Wassertropfen. Die Schutzräume waren einfach in den Felsen getriebene Stollen, mit Holzbalken abgestützt und Bänken versehen aber nicht mit Beton verkleidet. Erschütterungen durch Einschläge von Artilleriegranaten, ließen Steine von der Decke stürzen, die viele Bunkerinsassen verletzten. Medizinisch war nur eine notdürftige Erstversorgung möglich.

Nach einigen Stunden, nur unter elektrischem Licht, ging das Zeitgefühl verloren. Die meisten Bunkerinsassen wussten nicht mehr ob draußen Tag oder Nacht war.

Dazu das pausenlose Wummern der einschlagenden Granaten, kaum Informationen darüber was außerhalb vor sich ging, praktisch bewegungslos Ausharren, Angst, Hunger, Durst, Hitze, Luftknappheit. Es ergaben sich große Probleme, an die man überhaupt nicht gedacht hatte, so gab es keine Milch für Kleinkinder.

Den Anstrengungen waren nicht alle Menschen gewachsen, es kam zu Nervenkollern. Einige Bunkerinsassen drehten regelrecht durch, rissen sich die Kleider vom Leib und rannte nackt und wirr schreiend durch die Stollen. Im Bahnhofsbunker begann eine Mutter ihren Säugling geistesabwesend mit dem Kopf an die Wand zu schlagen, bis er ihr entrissen wurde.

Es existieren etliche Zeitzeugenberichte über die unvorstellbaren Zustände. Im Bunker am Philosophenweg und im Maschinenbunker von Moog und Koop waren wohl tausend Menschen dicht an dicht deren Atemnot immer größer wurde. Die Schutzräume konnten nicht verlassen werden da von der Koldung aus in Richtung auf die Scharzfelder Straße und Eber pausenlos geschossen und das Feuer erwidert wurde. Der Sauerstoff im Bunker wurde schließlich so knapp, dass die Kleinkinder drohten zu ersticken.

In der verzweifelten Lage schickte die Frau von Dr. Zietz junge Leute in einer kurzen Feuerpause zum Oderufer, um Sträucher zu schneiden. Mit dem Strauchwerk konnte pausenlos frische Luft in den Bunker gewedelt werden, wodurch der Erstickungstod der Kleinkinder verhindert wurde. Als die Amerikaner die Bunkerinsassen endlich aus ihrem Verließ befreiten, waren alle zu Tode erschöpft, aber gerettet.[9]

Erbitterte Kämpfe

Hart gerungen wurde am Bahnhof (heute Kreuzung Zollweg/Scharzfelder Straße). Die Brücke über die Lutter vor dem Baryt-Werk war, wie fast alle Brücken, gesprengt worden und von der Höhe des Eichenkopfs konnten die Fallschirmjäger das Vorgelände unter MG-Feuer halten. Das Bahnhofsgelände hielten Wehrmachtssoldaten. Auf den Eichenkopf lenkten die angreifenden Amerikaner nun das Feuer ihrer Artillerie. Für die Zivilisten, die im Bahnhofsbunker saßen, verschlimmerte sich dadurch die Situation. Wenn möglich wurde die Bunkertür geöffnet, um Luft hereinzulassen. Einige Bunkerinsassen konnten das nutzen, um zumindest kurz Luft zu schnappen.

In einem solchen Moment trieben Fallschirmjäger drei „Fremdarbeiter“ oder Kriegsgefangene, die sie offensichtlich beim Plündern überrascht hatten, am Bunkereingang vorbei in Richtung Luttertal. Immer wieder stießen die Soldaten ihre Gefangenen mit den Gewehrläufen in die Rücken. Auf Plündern stand der Tod. Mit dem Vergraben gab man sich aber keine große Mühe. Tage später hieß es, die Füchse würden mit den Köpfen im Luttertal Fußball spielen.

In diesen schrecklichen Stunden war dies einfach eine Episode. Teil des schrecklichen Krieges der nun auch Bad Lauterberg eingeholt hatte. Auf der Kriegsgräberstätte auf dem Bergfriedhof befindet sich ein Grab für drei unbekannten Russen, mit dem Datum 13.4.1945. Es könnte sich um die drei geschilderten Personen handeln.

Wegen des verstärkten Beschusses des Eichenkopfs konnte die Bunkertür fortan nicht mehr geöffnet werden, auch prasselten bei jedem Einschlag Steine aus der Decke. Viele Bunkerinsassen erlitten Kopfverletzungen.

Ab und an suchten deutsche Soldaten im Bunker Schutz. Ein Augenzeuge berichtete das die Männer durch die tagelange Anstrengung derartig ausgepumpt waren, dass sie im Stehen einschliefen.

In der für die Zivilbevölkerung unerträglich gewordenen Situation gingen Oberwachtmeister Kaufmann und Dr. Rübekeil mit einer weißen Fahne zu den US-amerikanischen Truppen und baten im Namen der Bevölkerung um die Einstellung der Kämpfe. Der US-Kommandeur ging auf das Ansinnen ein und schickte die beiden Männer zum deutschen Gefechtsstand, um die Fallschirmjäger zur Kapitulation oder mindestens zum Rückzug aufzufordern.

Die beiden Unterhändler machten sich auf den Weg zum Forsthaus Kupferhütte, wohin Berneike am 13. April seinen Gefechtsstand verlegt hatte.

Der deutsche Kampfkommandant spielte auf Zeit. Er hoffte auf die versprochene Verstärkung von 1.000 Mann – die jedoch nie eintreffen sollte. Zunächst schickte Berneike die beiden Bad Lauterberger Bürger zum US-Kommando mit der Forderung zurück, dass ein vorschriftsmäßiger US-amerikanischer Parlamentär-Trupp zu ihm kommen sollte. Um Blutvergießen zu vermeiden, ließ sich der US-Kommandeur auch darauf ein.

Für die Zeit der Verhandlungen wurde Waffenruhe vereinbart. Diese war vor allem für die Zivilbevölkerung nötig, die seit zwei Tagen und Nächten in völlig überfüllten Bunkern hauste.

Dazu gehörte auch eine schwer verletzte Frau, die endlich aus dem Scholben-Bunker gebracht werden konnte. Ein herabstürzender Felsbrocken hatte ihr den Unterschenkel zerschmettert.[10]

Sie wurde ins Kurhaus gebracht, im Keller war ein US-Lazarett eingerichtet worden.

Neben der Versorgung der Verwundeten wurde die Feuerpause von den Bunkerinsassen vor allem dazu genutzt Essbares zu holen oder auch schnell zusammen zu kochen. Das immer in der Angst, in der eigenen Wohnung auf Plünderer zu treffen.

Während dessen wurde eine US-amerikanische Parlamentärs Gruppe mit verbundenen Augen und weißer Fahne zum Gefechtsstand im Forsthaus Kupferhütte geführt. Die Amerikaner verlangten nochmals die Kapitulation. Berneike telefonierte daraufhin – oder tat vielmehr so – mit verschiedenen höheren Stellen. Diesen Vorgang zog er über mehrere Stunden hin. Schließlich eröffnete Berneike, der immer noch an seine 1.000 Mann Verstärkung glaubte, den US-Parlamentären, dass er strikten Befehl habe, die Stadt zu halten. Eine Stunde nach Rückkehr der Parlamentäre wurde die Feuerpause beendet.

Gegen 20 Uhr gaben die Sirenen Panzeralarm. Alle Zivilisten mussten in die Bunker oder die Wälder zurückkehren. Der Krieg setzte in voller Härte wieder ein. Es kam zu erbitterten Straßen- und Häuserkämpfen, die am 14. April ihren Höhepunkt fanden.

Bad Lauterberg wurde schwer in Mitleidenschaft gezogen. Durch Granatenbeschuss stürzten Gebäude ein und es brachen Brände aus. Das sich die Brände nicht zu einer allgemeinen Feuersbrunst ausbreiteten, lag an einigen Lauterbergern, die nicht in den großen Bunkern, sondern in ihren privaten Schutzräumen die Kämpfe überdauerten. Durch ihr beherztes Eingreifen wurde größter Schaden abgewendet. Ein Zeitzeuge: „Vom Fenster aus bemerkte ich bei einigen Nachbarhäusern starken Rauch aufsteigen und sah schließlich, dass das Haus des Schlachtermeisters Wiedemann lichterloh brannte und dass der Brand bereits auf das Grundstück von Klostermann übergegriffen hatte. Wir gingen sofort ans Werk, um zu löschen. Wir konnten weder Wasser aus der Leitung noch aus dem Hydranten bekommen. So mußten wir es also aus den Nachbarhäusern holen. Als dieser Vorrat erschöpft war, schleppten wir es von dem drei Minuten entfernten Mühlengraben heran, bis Beschuss von Gewehr- und Maschinengewehrfeuer einsetzte; denn im Schützenhaus (heute Hotel Riemann Anmerk. Verfasser) befanden sich noch deutsche Soldaten, die von den Amerikanern vom Haus Langrehr und vom Rathaus aus beschossen wurden und auch das Feuer erwiderten. … Hätten wir nicht gelöscht, so wäre wahrscheinlich die ganze Straßenzeile niedergebrannt, da die meisten Bad Lauterberger Einwohner in den Bunkern saßen und nicht gegen das Feuer angehen konnten.“[11]

Nachdem die Aue und große Teile der Innenstadt von den Timberwolves erobert waren, konzentrierten sich die Kämpfe auf den Hausberg. Um die strategisch wichtige Höhe zu nehmen, mussten die amerikanischen Soldaten gegen überhöht liegende MG-Nester vorgehen. Viele sind dabei gefallen.

Am Nachmittag nährten sich die Kämpfe dem Ende. Die Schießereien waren noch nicht beendet, da leerten sich die Bunker, weil alle Männer verschwanden. Nur Frauen, Kinder und ein paar ganz alte blieben zurück. Zum Symbol der Stunde wurden die NSDAP-Mitglieder, die nun keine mehr sein wollten und ihre Parteiabzeichen an die hölzernen Stützbalken steckten, die gespickt mit diesen Hakenkreuzabzeichen waren.[12]

In dieser Übergangsphase wurden von freigelassenen Gefangenen und entlassenen ausländischen Zivilarbeitern Wohnungen ausgeraubt, Läden aufgebrochen, Schaufenster eingeschlagen. Die amerikanischen Soldaten ließen sie, auch in den kommenden Tagen, gewähren.

Obwohl die Stadt noch nicht gänzlich von deutschen Soldaten geräumt war, konnte gegen 16 Uhr Entwarnung gegeben werden, die Zivilbevölkerung verließ die Bunker und kehrte aus den Wäldern zurück.

Trotz ihrer hohen Verluste verhielten sich die amerikanischen Soldaten der Bevölkerung gegenüber im Großen und Ganzen korrekt. Als sie den Bunker am Bahnhof erreichten verteilten sie Süßigkeiten an weinende Kinder und öffneten am Bahnhof ein Lebensmitteldepot für die Zivilbevölkerung. „Die haben uns doch befreit“[13], so schilderte eine Frau, die diese Szene aus der Perspektive eines sechsjährigen Kindes erlebte, die Situation noch Jahrzehnte später.

Am Ausgang vom Bahnhofsbunker boten sich Bilder, die diejenigen die sie sahen für immer in Erinnerung blieben. Am Bahnhof lagen etliche gefallene deutsche Soldaten. Ebenso an und in der Lutter. Ein Gefreiter schaute mit aufgerissenen Augen ins Nichts, das Wasser floss ihm durch den offenen Mund. Ein paar Meter weiter lag ein Toter mit dem Gesicht im Fluss, der Kopf wurde von der Strömung auf und nieder bewegt. In der Nähe des Bahnhofs fiel auch der 15-jährige Bad Lauterberger Hitler Junge Willi Rosenthal. Er hatte sich als Munitionsträger den Soldaten zur Verfügung gestellt. Dabei war er in die amerikanische Feuerlinie geraten. Die Amerikaner fanden den toten Jugendlichen, gekleidet in seinem schwarzen HJ-Overall mit der Hakenkreuzarmbinde am linken Arm. In antifaschistischer Geste nahmen ihm die US-Soldaten die Armbinde ab und stecken sie durchgeschnitten und unter die Achsel des Toten.


Minderjährige wurden in der Endphase des II. Weltkrieges vom NS-Staat zum Kriegseinsatz aufgerufen.

Als am Nachmittag in Bad Lauterberg Entwarnung gegeben wurde zog sich für Berneike im Forsthaus Kupferhütte die Schlinge zu. Von Sieber aus stießen Einheiten der 1. US-Infanteriedivision mit Panzer Unterstützung im Tal der Geraden Lutter vor und drohten den deutschen Befehlsstand von hinten zu fassen. Gegen 17 Uhr befahl Berneike den Rückzug Richtung Braunlage und entging knapp der Gefangenschaft. Gegen 18 Uhr kam es noch einmal zu einem 20-minütigen Gefecht in der Nähe des Forsthauses. Dann zogen sich Fallschirmjäger endgültig über den Kummel in Richtung Osten zurück. Nur die Siedlung Odertal mit den Schickert-Werken war noch in deutscher Hand.

Der 15-jährige Willi Rosenthal bezahlte seinen freiwilligen Kriegseinsatz mit seinem Leben. Sein Grab ist Teil der Kriegsgräberstätte auf dem Bergfriedhof Bad Lauterberg.

Am Ortsausgang, kurz vor den Schickert-Werken, verlegte eine Nachhut der Fallschirmjäger den nachrückenden Timberwolves den Weg. An der Stelle, wo die Straße noch heute eine Kurve macht, führte der Straßenverlauf 1945 um eine große Felsklippe. Der Felsvorsprung wurde bei der Erneuerung des Straßenverlaufs zum erheblichen Teil abgetragen.

Diese Klippen eigneten sich hervorragend, um sich zu verschanzen. Von dort nahmen deutsche Fallschirmjäger die anrückenden US-amerikanischen Soldaten unter Feuer. Ein weiterer Vormarsch hätte unnötige Opfer gekostet, denn am folgenden Tag würde Bad Lauterberg ohnehin überflügelt sein. Deshalb rückten die Amerikaner nicht weiter vor, und die deutschen Soldaten setzen sich ab.

Verhinderte Sprengung

Nach der Einnahme von Bad Lauterberg sollten die Fallschirmjäger den Staudamm der Odertalsperre sprengen. Was das für die mit Evakuierten und Flüchtlingen überfüllte Stadt bedeuten würde und dass der Ausfall der Stromversorgung vor allem die Zivilbevölkerung getroffen hätte, kümmerte die Nazi-Strategen nicht. Seit dem 19. März war der „Befehl zu Zerstörungsmaßnahmen im Reichsgebiet“ per Führererlass in Kraft getreten. Hitler wollte die gesamte Infrastruktur auf dem Rückzug zerstören lassen.

Die Sprengung des Oderstaudamms wurde dem Fallschirm-Pionier-Bataillon 5, unter dem Ritterkreuzträger Leutnant Friedrich Bausch übertragen. Wie Berneike gehörte Bausch zu den Durchhalteoffizieren. Erst am 12. März 1945 hatte er das Ritterkreuz erhalten.

Für eine Sprengung des Staudammes stand aber nicht mehr genügend Sprengstoff zur Verfügung. So wollte Bausch die Turbinen für die Stromerzeugung in die Luft jagen, um den wesentlichen Teil seines Befehls auszuführen. Diese Sprengung mit ihren fatalen Folgen für die Bevölkerung unterblieb nur, weil ein Energieingenieur, der als Wehrmachtsoffizier schon längere Zeit am Oderstausee eingesetzt war, Bausch davon überzeugen konnte, dass durch den Ausbau einiger wichtiger Teile die Stromerzeugung ebenfalls unmöglich war. Die Fallschirmpioniere beschränkten sich daraufhin auf die Sprengung einiger Baumsperren im Odertal, um den Rückzug der deutschen Truppen zu decken. Die ausgebauten Teile wurden nach dem Einmarsch der Amerikaner wieder eingesetzt, so dass die Stromversorgung gewährleistet blieb.

Ihren Rückzug wollten die Fallschirmjäger ursprünglich auch im Odertal decken und hatten während der Kämpfe in Bad Lauterberg im Hotel „Zur Schweiz“ einen Gefechtsstand eingerichtet. Hier lagerten 80 Panzerfäuste und hinter dem Gebäude waren Granatwerfer aufgebaut. Als die Deutschen mit ihren Granatwerfern feuerten, bemerkte dass ein amerikanisches Flugzeug und griff die erkannte Stellung an. Die deutschen Soldaten flüchteten Richtung Metallwerk. Zwar feuerte nun niemand mehr auf die Amerikaner dafür geriet aus der verlassenen Stellung am Hotel immer stärker unter amerikanischen Beschuss. Auf ihrem Rückzug sprengten die Fallschirmjägerpioniere noch am 14. März die Sperrlutterbrücke.

Das Odertal war jedoch vor allem durch die großen Lager für Kriegsgefangene und „Fremdarbeiter“ geprägt. An der Andreasberger Straße, dem späteren DETA-Gelände, bestand das Lager Hauxkopf mit rund 2.000 Ostarbeiterinnen. Hinzu kamen noch 250 italienische Kriegsgefangene der Badoglio-Truppen. Die Badoglio-Regierung hatte im Juli 1943 die Seiten gewechselt und kämpfte gegen Nazi-Deutschland. Nachdem die deutschen Wachen abgezogen waren, machten sich die Kriegsgefangene und ausländische Arbeiterinnen und Arbeiter selbstständig. Gegen die ersten Plünderungen schritten noch die Fallschirmjäger ein. Zeitzeugen sprechen von mehreren erschossenen Plünderern.[14] Nachdem die deutschen Soldaten abgezogen waren, richtete sich der Hass einiger ehemaliger Gefangener gegen die ihre deutschen Unterdrücker. Der Odertaler Werkmeister Hersener von der Firma Haltenhoff, der Betriebsleiter Mahrholz von den Metallwerken, Lisa Weber eine Kochfrau im Lager und ihre Kollegin sowie das Försterehepaar Bingel wurden erschlagen.

Am Nachmittag, des 15. April kamen amerikanische Panzer und Infanterie aus Richtung St. Andreasberg, Silberhütte durch das Sperrluttertal. Als menschliche Schutzschilde saßen gefangenen deutschen Soldaten in Handschellen auf den Panzern. Auch neben und hinter den Fahrzeugen mussten deutsche Kriegsgefangene als Feuerschutz laufen. Dieser war jedoch nicht nötig. Ohne weitere Kampfhandlungen besetzten die US-Einheiten die Siedlung Odertal und übernahmen staunend die vollständig unbeschädigten Schickert-Werke.

Unter Billigung der Amerikaner durften die ausländischen Arbeiter_innen weiter plündern. Als erstes waren das Hotelgebäude und die Eisenbahnhäuser am Bahnhof fällig.

Am Nachmittag des 15. April erfolgte die Ablösung der 104 US-Infanteriedivision das Bad Lauterberg unter schweren Verlusten erobert hatte. Einheiten der 1. US-Infanteriedivision übernahmen. Die Timberwolves wurden in Richtung Halle in Marsch gesetzt.

In den Kämpfen um Bad Lauterberg vom 12. Bis 14. April 1945 kamen, mindestens 75 Zivilisten ums Leben, 34 deutsche Soldaten fielen, mehr als 50 Wohnhäuser wurden von Granaten getroffen, brannten nieder oder waren schwer beschädigt. Die Zahl der gefallenen US-amerikanischen Soldaten war bislang nicht genau zu ermitteln. Es soll sich aber um höhere Verluste als bei den Deutschen gehandelt haben.

Nicht alle deutschen Kriegstoten sind in den Gräberreihen des Bergfriedhofes beigesetzt. Einige Soldaten liegen auf dem zentralen Soldatenfriedhof in Salzderhelden, andere Gefallene, wie ein 45-jähriger Soldat und ein 16-jähriger Hitler-Junge, wurden von ihren Angehörigen privat bestattet.

Das Ende

Am Vormittag des 21. April 1945 übernahmen US-Truppen die Kontrolle über Blankenburg. Bei Michaelstein kam es am Nachmittag zu letzten regulären Kämpfen. Damit war die Verteidigung des Harzes Geschichte. Am 23. April 1945 ergab sich der Oberkommandierende der 11. Armee, General der Artillerie Walter Lucht, dem Kompaniechef einer Versorgungseinheit des 36. amerikanischen Panzer-Bataillons, Hauptmann Henry Tragle, der in Blankenburg als Stadtkommandant fungierte.

In den folgenden Wochen und Monaten versuchten versprengte Soldaten vereinzelt den Widerstand aus den Wäldern fortzusetzen. Diese „Wehrwölfe“ blieben aber eine Randnotiz.

Soldatengrab in Bad Lauterberg. Immer noch ein Wanderziel, wenn es auch keinen Stahlhelm mehr gibt.

 

 

Literaturverzeichnis

Arbeitsgemeinschaft Südniedersächsischer Heimatfreunde (Hg): Rüstungsindustrie in Südniedersachsen während der NS-Zeit, Mannheim, 1993.

Bornemann, Manfred: Schicksalstage im Harz. Das Geschehen im April 1945, Clausthal-Zellerfeld, 19804.

Bornemann, Manfred: Die letzten Tage der Festung Harz. Das Geschehen im April 1945, Clausthal-Zellerfeld, 19802.

Tieke, Wilhelm: Aufstellung, Einsatz und Untergang der SS-Panzerbrigade „Westfalen“. März – April 1945, Gummersbach, 1990.

Ulrich, Heinz: Die Infanteriedivision „Potsdam“. Ihre Aufstellung und ihr Einsatz im April 1945 im Ostharz, an der Elbe und im Raum Köthen, Oschersleben, 2012.

Kühn, Volkmar: Deutsche Fallschirmjäger im zweiten Weltkrieg. Grüne Teufel im Sprungeinsatz und Erdkampf 1939 – 1945, Stuttgart, 199310.

Saft, Ulrich: Krieg in der Heimat … bis zum bitteren Ende im Harz, Walsrode, 1994.

Stimpel, Hans-Martin: Getäuscht und mißbraucht. Schülersoldaten in Zentren des Vernichtungskrieges, Göttingen, 2001.

Zeitfuchs, Robby / Schirmer Volker (Hrsg): Zeitzeugen. Der Harz im April 1945, Selbstverlag, 2004.

 

Bad Lauterberger Tageblatt, 27.4.1985, 40 Jahre danach, Aus der Schule in den Tod. Ruth Korb erinnert sich – Die rettenden 15 Minuten.

 

Bad Lauterberger Tageblatt, 31.3.1995, Als der Zweite Weltkrieg in Bad Lauterberg wütete.

 

Harz Kurier, 30.3.1995, Hermann Bode, Die Katastrophe konnte verhindert werden – Die letzten Kriegstage in Bad Lauterberg. Beim Rückzug wollten einige Offiziere die Odertalsperre sprengen lassen.

 

Rafael A. Zagovec: „Gespräche mit der ‚Volksgemeinschaft‘“ in: Bernhard Chiari [u. a.]: „Die deutsche Kriegsgesellschaft 1939 bis 1945 – Ausbeutung, Deutungen, Ausgrenzung“, im Auftrag des MGFA hrsg. von Jörg Echternkamp, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 2005, Band 9/2 ISBN 978-3-421-06528-5, S. 360–364.

 

Zeitzeugeninterview des Autors 1994 mit Karl-Heinz Ludwig (†).

[1] Zit. in: Zeitzeugen. Der Harz im April 1945, S.42 f.

[2] Arbeitsgemeinschaft Südniedersächsischer Heimatfreunde (Hg): Rüstungsindustrie in Südniedersachsen während der NS-Zeit, Mannheim, 1993, Faksimile, S. 54.

[3]                Zeitzeugin Walfriede Ludwig (†). Zitat aus einem Gespräch mit dem Autor.

[4]             „Heute vor 40 Jahren … Meine Erlebnisse in den letzten Kriegstagen“. In: Bad Lauterberger Tageblatt, 9.4.1985.

[5]             „1945 – Aufräumarbeiten am Eber. Vor 40 Jahren am Tage Null – Foto aus dem Lindenberg Archiv“. Zeugnis des früheren katholischen Pfarrers von Bad Lauterberg Heinrich Schramm. In: Bad Lauterberger Tageblatt, 22.4.1985,

[6]             Bornemann, Manfred: Die letzten Tage in der Festung Harz, 1980, S.53

[7]             Bornemann, Manfred: Schicksalstage im Harz, 1980, S. 83.

[8]             Schicksalstage im Harz, S.89

[9]             Bad Lauterberger Tageblatt, 27.4.1985, „40 Jahre danach, Aus der Schule in den Tod. Ruth Korb erinnert sich – Die rettenden 15 Minuten“.

[10]           Die letzten Tage in der Festung Harz, S. 53

[11]           Bad Lauterberger Tageblatt, 31.3.1995, Als der Zweite Weltkrieg in Bad Lauterberg wütete.

[12]           Schilderung aus einem Interview mit Karl-Heinz Ludwig mit dem Autor aus dem Jahr 1994.

[13]           Zeitzeugin Brigitte Grüneberg. Zitat aus einem Gespräch mit dem Autor.

[14]           Zeugnis Hermann Bode, Die Katastrophe konnte verhindert werden – Die letzten Kriegstage in Bad Lauterberg. Beim Rückzug wollten einige Offiziere die Odertalsperre sprengen lassen. In: Harz Kurier, 30.3.1995.