ZDF-Feindpropaganda

Bilder der nächtlichen Straßenschlacht im Schanzenviertel während des G20-Gipfels, unterlegt mit theatralischen Weltuntergangsklängen, dazu eine dramaturgische Stimme aus dem Off: „Steinwürfe von Vermummten, Angriffe auf Polizisten, brennende Barrikaden, Geschäfte werden geplündert. Die radikale Linke sorgt für Ängste.“ So beginnt die ZDF-Dokumentation ›Radikale von Links – die unterschätzte Gefahr‹. Plötzlich und unvermittelt blitzt das Symbol der RAF auf. Von der größten Herausforderung nach dem Krieg für den deutschen Staat wird gesprochen; 33 ermordete Menschen sollen auf das Konto der RAF gehen. Nach deren Selbstauflösung im Jahre 1998 sei es dann ruhig geworden um die extreme Linke in Deutschland. Doch der Verfassungsschutz (VS) warnt – die Hemmschwelle sinke wieder und untermauert die Zahl steigender Gewalt von Links mit seinen eigenen Statistiken. Dieser Blickwinkel wird in der Dokumentation kontinuierlich beibehalten und auf einen eigenen journalistischen Standpunkt vollständig verzichtet. Es gibt nicht einmal den Versuch, einen Anschein von Neutralität zu wahren.

Während die Aussagen von Linken stets in Frage gestellt werden, nehmen Kommentare von Staatsschutz, Polizei und befragten ›Experten‹ breiten Raum ein. Diese verkünden die ›Wahrheit‹ und sind eins mit den Aussagen der Stimme aus dem Off.

„Was habt ihr denn erwartet?“, lautet der eine oder andere Kommentar nach der Ausstrahlung am 6. September. Zunächst mal einen anderen Film. Rainer Fromm, bislang bekannt für Recherchefilme im rechten Spektrum, suchte Anfang des Jahres Interviewpartner zum Thema linke Szene und Antifa. Herauskommen sollte eine Dokumentation über die radikale Linke und was sie heute bewegt. Entstanden ist jedoch ein demagogisches Machwerk. Die Interviews mit linken Aktivisten und Aktivistinnen dienen ausschließlich der Bebilderung tendenziöser Thesen.

Im ersten Beispiel heißt es: „Antifaschismus ist derzeit eines der Hauptthemen linker Extremisten.“ Als Beleg, dass diese nicht vor Gewalt im geistigen Gefolge der RAF zurückschrecken, dient eine Demonstrationen gegen die AfD im April 2017 in Köln. Während die Stadt sich angeblich im Ausnahmezustand befindet, wird ein Sprecher der Gruppe ›Nationalismus ist keine Alternative‹ gefragt, ob ihm verletzte AfD-Mitglieder nicht leid täten. Nach kurzem Zögern entgegnet er: „Nein!“ Diese Aussage ist geschickt vor das eigentliche Interview gesetzt in dem derselbe Sprecher anmerkt, dass die AfD gerade dabei sei völkischen Rassismus und Antisemitismus wieder salonfähig zu machen. Schnitt, neue Perspektive: Polizei marschiert auf, dazu erschallt die Stimme aus dem Off: „Das Ergebnis linker Gewalt beim Anti-AfD-Protest: zwei verletzte Polizeibeamte eine Festnahme“.

Ein solcher Ausgang reicht allerdings nicht aus, um das Bild von blutrünstigen Linksradikalen drastisch genug zeigen zu können. Nun folgen ein paar Filmschnipsel vom Remmidemmi bei der Einweihung der EZB im Juni 2015 in Frankfurt. Derart eingestimmt, holt der Kommentator aus: „Anders als bei Neonazis wird die Entwicklung des politischen Linksaußen wissenschaftlich kaum aufgearbeitet. Zum Schwerpunkt Linksextremismus hat Karsten Dustin Hoffmann promoviert. Er war Mitglied eines Forscherteams, dass die Wahrnehmung des politischen Extremismus in der Publizistik analysierte.“

Dieser wissenschaftliche Experte, der gleich zweimal im Film vorkommt, polemisiert dann vor allem gegen die Rote Flora in Hamburg. Dass Hoffmann Mitglied der Kreistagsfraktion der AfD in Rotenburg (Wümme) ist, bleibt dabei unerwähnt.

Dass aber die Linksradikalen überall mitmischen und Proteste für ihre Zwecke missbrauchen, gilt uneingeschränkt, auch ohne Belege, z.B. im Kampf gegen die Atomkraft, gegen die Startbahn-West und in Bezug aufs Wettrüsten – Kämpfe, die längst vorbei sind und heute keine Rolle mehr spielen. Verwunderlich ist es dann auch nicht mehr, dass Joschka Fischer eingeblendet wird. Ein ehemaliger Straßenkämpfer, der Außenminister wurde. Trotzdem waren die radikalen Linken mit einer rot-grünen Regierung unzufrieden. Um das zu erklären, kommt kein geringerer als der Extremismusforscher Udo Backes zu Wort – auch so ein ›neutraler‹ Experte vom rechten Rand.

Aber wo sind die militanten Linken heute zu finden? Erste Adresse ist Kiel, der Sitz von ›Fire and Flames‹. Zwei eingeblendete Aktivisten treten für eine andere, bessere Gesellschaft ein. Die Stimme aus dem Off erkennt jedoch: „Das Bessere – für sie – die Revolution gegen den Staat, in dem sie leben!“ Eine zutreffende Konkretisierung, nur wird die Revolution im Film durchweg als sinnlose Gewalt dargestellt und nicht als Motor der Geschichte.

Zum Glück hat der Verfassungsschutz die ständig steigenden Zahlen der Autonomen (und der noch gefährlicheren Postautonomen) im Blick. Besonders bedrohlich scheint die Interventionistische Linke zu sein, die sich, laut Kommentator, als Avantgarde versteht. Ihr wird von einem ›VS-Experten‹ attestiert, dass sie durch das Einüben von Sitzblockaden eine höhere Gewaltbereitschaft erreicht hätte.

Wieder schwenkt die Kamera zu eindeutigen Bilder der Gewalt. Jetzt steht Leipzig-Connewitz im Blickpunkt. Erneut das inzwischen bekannte Muster, die Linken-Landtagsabgeordnete Jule Nagel sagt keine falschen Sachen, jedoch gehen ihre Aussagen in einem Gerangel zwischen Antifas und Polizei unter. Dazu die Stimme aus dem Off: „Die Abgeordnete Nagel sieht die Gewalt bei den Polizisten. Die Polizei als Buhmann, eine verbreitete Weltsicht.“

Nun mutiert der Dokumentarfilm endgültig zu einem Propagandastreifen. Im Schweinsgalopp geht es durch die Geschichte; von der Französischen Revolution über die Russische zur Kulturrevolution Mao-Tse-Tungs. Wir werden belehrt: Die Linken, besonders die radikalen Linken haben der Welt nur millionenfachen Tod und Verderben gebracht. Dass Autonome in Abgrenzung zu autoritär-kommunistischen Strömungen/Regimen bzw. den K-Gruppen überhaupt erst in den Siebziger Jahren entstanden sind, spielt für die Experten in dieser Dokumentation keine Rolle. Die heutige Antifa ist einfach in der historischen Abfolge von Stalin, Mao und Pol Pot, zu sehen. So ist es denn auch nicht mehr weit zu „Konzepten des Guerilla-Kampfes“, die angeblich bei den Protesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg zum Tragen gekommen sind.

Das Geld für eine faktisch nicht existente Guerilla, die hier am Werk war, wird in linken Zentren, den „bundesweiten Sammelfeldern für Radikale“ beschafft. Auf einer Landkarte der BRD werden die linken Szene-Treffs öffentlich an den Pranger gestellt: Die Rote Flora in Hamburg, die Rigaer Straße 94 in Berlin, das JuzI in Göttingen, Conne Island in Leipzig, Autonomes Zentrum KTS in Freiburg, das Kafe Marat in München.

Schließlich führt die Dokumentation nach Berlin, wo sich das größte Zentrum der linken Szene befinden soll. Einige Aufnahmen vom 1. Mai 2017 werden gezeigt und die Deeskalationspolitik kritisiert. „Jahr für Jahr Randale. Und Jahr für Jahr zu wenig Aufmerksamkeit für linke Gewalt durch die Politik, klagt die Polizei vor Ort.“ Ein GdP-Sprecher erzählt, „dass wir verschiedene Straßen in der Stadt haben, wo Funkwagenbesatzungen, wo auch unsere Einsatzhundertschaften nicht mehr aussteigen.“ Diese Realitätsverzerrung impliziert den Ruf nach mehr Polizei und härterem Durchgreifen, weshalb nun auch noch der Koalitionsvertrag von rot/rot/grün in den Propagandabrei eingerührt wird. Der Vertrag geht auf zwei Seiten auf den Rechtsextremismus und den islamistischen Terror ein, aber kein Wort über ist über den bösen und gefährlichen Linksextremismus darin zu finden sind. Das ist beklagenswert für NPD, AfD und die rechten Vertreter anderer Parteien, die dann reichlich zu Wort kommen.

Gewissermaßen als Höhepunkt werden als Kronzeugen gegen linksradikale, autonome Gewalt Dieter Dehm und Sarah Wagenknecht ins Feld geführt, die offensichtlich zu allem etwas zu sagen haben. Obendrein präsentiert uns die Doku ein Modelabel, das Baby-Strampler mit RAF-Logo feilbietet. Spätestens hier müsste klar sein, dass dieses Emblem zur Pop-Ikone geworden ist und nur noch als Marketing-Gag funktioniert. Aber nein, selbst aus Modeschnickschnack wird versucht, eine Bedrohung zu konstruieren.

Als Satiresendung könnte die Doku sicher Preise abräumen, aber es handelt sich leider um einen rechtslastigen Staatsschutzstreifen – ZDF-Feindpropaganda.

Der Text erschien in gekürzter Fassung mit der Überschrift „Polizei marschiert auf – Alle Gewalt geht vom Fernsehen aus: Wie das ZDF linken Protest bekämpft .“ in der Wochenendausgabe, 16./17. September 2017, in der Jungen Welt.