90 Jahre Mitteldeutscher Aufstand
Zischend hält die Lokomotive des Spätzuges aus Berlin im Bahnhof Kloster-Mansfeld. Es sist die Nacht zum 22. März 1921, die alte Maschine muss Wasser tanken. Eine günstige Gelegenheit für sechs Männer, ihr Abteil zu verlassen und unbemerkt zu verschwinden. Die Gruppe hat ein klares Ziel: sie will einen bewaffneten Aufstand initiieren, einen Bürgerkrieg, Klasse gegen Klasse! Ihr Anführer ist der steckbrieflich gesuchte Max Hoelz.
Hoelz, 1889 in Moritz bei Riesa geboren und zunächst christlich orientiert, meldete sich bei Ausbruch des I. Weltkrieges als Freiwilliger. Seine Erlebnisse als Frontsoldat führten dazu, dass er sich Ende 1918 der USPD und bereits im Frühjahr 1919 der KPD anschloss. Während der Abwehrmaßnahmen gegen den Kapp-Putsch 1920 versuchte er, eine „Vogtländische Rote Armee“ aufzubauen, und zog dann tatsächlich mit einer bewaffneten Truppe durch diese Region. Er legte fünf Villen in Schutt und Asche, enteignete Geld und andere nützliche Dinge. Sein allzu eigenmächtiges Vorgehen dabei führte zu seinem umgehenden Ausschluss aus der KPD wegen Disziplinlosigkeit.
Das rote Herz
Kloster-Mansfeld liegt im Mitteldeutschen Industriegebiet, das den Bezirk Halle-Merseburg und das Mansfelder Land[1] umfasst. Zur Region Mitteldeutschland zählen die Braunkohlereviere von Bitterfeld, Ammendorf, Weißenfels, Zeitz, das Geiseltal, Teutschenthal, Röblingen, der Mansfelder Kupferbergbau und die Kalischächte von Staßfurt bis zur Unstrut. Mit der Rohstoffförderung sind viele verarbeitende Betriebe verbunden. Das Potential der Region wurde erst während des I. Weltkrieges im Zuge der totalen Kriegsführung durch Hindenburg und Ludendorff ausgeschöpft. In wenigen Jahren entstand ein bedeutender industrieller Schwerpunkt im Deutschen Reich, der mit dem Ruhrgebiet, Berlin und Oberschlesien vergleichbar war. Als Sinnbild für den massiven Ausbau der chemischen Industrie galt der Bau der Leuna-Werke 1916. Für das enorme Wachstum waren massenhaft Arbeitskräfte notwendig, sodass das Proletariat der Region Anfang der 1920er Jahre zum großen Teil aus Zugewanderten bestand.
Während des Kapp-Putsches kam es auch in Mitteldeutschland zu Unruhen, die ihren Höhepunkt in der Schlacht um Halle fanden. Revolutionäre Arbeitertruppen kreisten die Stadt ein und lieferten sich vom 19. bis 21. März blutige Gefechte mit Reichswehrtruppen. Nur dem Mangel an Artillerie und dem Fehlen eines tatsächlichen Oberbefehls bei den Arbeitersoldaten verdankten die Reichswehreinheiten in Halle, dass ihnen eine völlige Niederlage erspart blieb. Außerdem brach der Putsch in Berlin zusammen und der sozialdemokratische Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB) und andere Gewerkschaften erklärten am 20. März das Ende des Generalstreiks. Damit war den militärischen Aktionen der Revolutionäre die politische Grundlage entzogen. Bei den anschließenden Verhandlungen mit Regierungsvertretern wurde u. a. vereinbart, dass es keine juristische Verfolgung der Aufständischen geben sollte. Das „rote Herz Deutschlands“, wie Mitteldeutschland auch genannt wurde, schlug weiter.
Moskau, Berlin, Mitteldeutschland
Ab 1918 war die USPD stärkste Partei in der Region. Ihr linker Flügel schloss sich im Dezember 1920 in Berlin mit der KPD zur VKPD zusammen, wobei das „V“ für „Vereinigte“ stand und nach 2 Jahren einfach wegfiel. Auch die KAPD war in Mitteldeutschland stark vertreten, eine Partei, die von außerparlamentarisch agierenden Linksradikalen nach dem Kapp-Putsch in Berlin gegründet worden war.
An der VKPD vorbei wurde die KAPD 1920 als sympathisierende Partei in die Kommunistische Internationale aufgenommen. Damit brüskierten die Bolschewiki die Fraktion um den Parteivorsitzenden Paul Levi. Als die Komintern auch noch die Spaltung der Sozialistischen Partei Italiens billigte, trat Levi mit seiner gesamten Fraktion zurück. An die Spitze traten nun die Parteilinken Walter Stoecker und Heinrich Brandler.
Obwohl sich die VKPD durch die Vereinigung stabilisieren kann, bleibt sie im Deutschen Reich eine Minderheitenpartei. Mitteldeutschland bildet die Ausnahme: aus Wahlen im Winter 1920/21 geht sie im Wahlbezirk Halle als stärkste politische Kraft hervor. Anfang 1921 erhält die Parteizentrale überraschend Besuch von drei Abgesandten aus Moskau, unter ihnen der gescheiterte ungarische Revolutionsführer Béla Kun. Kun agitiert heftig für einen baldigen Aufstand in Deutschland. Beim linken Flügel der KPD trifft das auf Beifall, die Vertreter der „Levi-Fraktion“ halten das Vorhaben für absurd. Sie sehen keine Bedingungen für eine erfolgreiche Revolution in Deutschland gegeben. Allerdings agiert die Delegation im Auftrag der Bolschewiki, deren Politik in Russland in eine schwere Krise geraten ist. Eine kommunistische Erhebung in Deutschland soll, unabhängig von ihrem Erfolg, die Fortführung der von ihnen begonnenen Weltrevolution dokumentieren. Auch wurde eine „Offensivstrategie“ ersonnen, wonach es die Pflicht eines jeden Kommunisten ist,immer und unter allen Umständen anzugreifen.
Obwohl die Partei völlig unzureichend auf einen bewaffneten Aufstand vorbereitet ist, schwenkt die neue VKPD-Führung auf diesen Kurs ein. Brandler glaubt gar, man könne, wie ein Jahr zuvor beim Kapp-Putsch, eine Massenaktion auslösen und schließlich einen revolutionären Umsturz bewirken. Mitteldeutschland wird dafür ins Auge gefasst, auch ein Aufstandstermin nach Ostern, doch konkreter werden die Pläne nicht.
Zur gleichen Zeit beraten Otto Hörsing, Oberpräsident der preußischen Provinz Sachsen, und Innenminister Carl Severing, beide SPD, über die Situation im Mitteldeutschen Industriegebiet. Seit dem Kapp-Putsch sind in der Region viele Waffen im Umlauf, gesuchte Linksradikale halten sich dort auf, es gibt wilde Streiks, immer wieder ist von Plünderungen und Diebstählen zu hören. Was die Betonung von Streiks und Diebstählen betrifft, so handelt es sich dabei um die propagandistische Begleitmusik zum eigentlichen Zweck: einen Schlag gegen die revolutionäre Bewegung zu führen. „Um dem staatlichen Gewaltmonopol wieder volle Gültigkeit zu verschaffen“, wie es offiziell heißt, ist eine großangelegte Entwaffnungsaktion geplant, Verhaftungen eingeschlossen. Otto Hörsing ist alter Gewerkschafter und kalkuliert Gegenmaßnahmen der linken Arbeiterschaft in die Planung mit ein. Natürlich wird diese versuchen, den Vorstoß mit einer Streikbewegung zu kontern! Deshalb sollen die Hundertschaften in der Woche vor den arbeitsfreien Osterfeiertagen einmarschieren. Die Vorbereitungen beginnen Anfang Februar 1921. Industrielle und kommunale Behörden werden, unter Umgehung der Abgeordneten der VKPD, von Beginn an beteiligt. Die Aktion soll durch Schutzpolizisten (Schupo) erfolgen, denen eingeschärft wird, jegliche Provokation zu vermeiden. Zunächst sollen sie ihre Unterkünfte nicht verlassen, lediglich Einkäufe in Gruppen von vier Mann sind erlaubt.
„Kohlesache“ und „Frühjahrsreise“
Es herrscht sonniges, warmes Frühlingswetter, als am Morgen des 19. März 1921 Polizei-Hundertschaften in Eisleben und Hettstedt einmarschieren und die „Kohlesache“ auslösen.Jeder Polizist verfügt über einen Karabiner, dazu eine Pistole. Jede Hundertschaft ist zudem mit einem Maschinengewehr und vier Maschinenpistolen ausgerüstet. Neben Kraftfahrzeugen und Fahrrädern gibt es auch zwei Funkstationen. Der Leiter der Aktion, Polizeimajor Folte, bezieht sein Hauptquartier in Eisleben.
Gleichzeitig rücken Hundertschaften im Geiseltal unter dem Codenamen „Frühjahrsreise“ vor. Im Merseburger Schloss richtet sich Polizeimajor Fendel-Sartorius ein. Bis zum 21. März verstärken einige Abteilungen Berliner Schutzpolizei die Aktion. Insgesamt sind es1.067 Polizisten, die sich im Mansfelder und Teutschenthalgebiet sowie im Geiseltal einquartieren.
Bereits am 21. März ruft die VKPD zum Generalstreik auf, der nur zögernd einsetzt. Zunächst befinden sich lediglich zehntausend Arbeiter in Eisleben und im Teutschenthaler Revier im Ausstand, während sich anderswo nur einige Inseln des Widerstands bilden. In den umliegenden Großstädten Leipzig, Halle und Erfurt findet der Streikaufruf so gut wie keinen Widerhall.
Noch viel schwieriger gestaltet es sich, den bewaffneten Aufstand loszutreten. Schließlich bewirkt dies Max Hoelz, der mit seinen Genossen auf eigene Faust ins Streikgebiet gereist ist. Seit Ende 1920 lebte er illegal in Berlin, nachdem er der Reichswehr nur knapp durch Flucht über die tschechische Grenze entkommen war. Allerdings war Stillhalten nicht sein Ding und er baute eine militante Gruppe auf, die mit Bombenanschlägen in Dresden, Freiberg, Leipzig und anderen Orten von sich reden machte. Die Angriffe richteten sich gegen Gerichtsgebäude, Polizeistationen und Rathäuser. Finanziert wurde das alles durch Banküberfälle, ein Teil des enteigneten Geldes kam der KAPD zugute.
Gleich nach seinem Eintreffen im Unruhegebiet agitiert Hoelz am 22. März auf mehreren Versammlungen, so auch in Eisleben. Nach Hoelz spricht sein „militärischer Leiter“, dann der „Kriegsreferent“, und die Berliner Stammtruppe beginnt, Freiwillige in Abteilungen zu gliedern. Ein Fahrradkurierdienst und Sprengtruppen werden aufgestellt. Ferner wird eine Abteilung für Logistik gebildet. Die Lebensmittelversorgung ist für Hoelz eine Grundlage des militärischen Handelns, es gibt freie Kost und 50 Mark pro Mann.
Binnen kurzer Zeit sind ca. 150 Freiwillige mit 50 Gewehren und drei Maschinengewehren ausgerüstet. Die Bewaffnung ist von Anfang an problematisch, die Arbeiter verfügen lediglich über die Ausrüstung, die sie nach dem Kapp-Putsch versteckt haben. Auf mehrere Kämpfer kommt nur ein Gewehr, Munition ist rar.
Die VKPD misstraut Hoelz und schickt deshalb Josef Schneider, der ihm nicht mehr von der Seite weichen und ihn kontrollieren soll. Doch Schneider unterstellt sich Hoelz und fungiert alsbald als dessen Adjutant, und damit als Verpflegungskommissar, Verwalter des beschlagnahmten Geldes und Leiter des Pressedienstes.
Hoelz greift am 23. März zunächst das Polizeihauptquartier im Lehrerseminar in Eisleben an, aber mehr als das Gebäude zu beschießen ist ihm nicht möglich. Daraufhin bereitet er einen Hinterhalt an dem vor der Stadt gelegenen Otto-Schacht vor. Dort stehen 11 unbewachte Last- und Personenwagen, welche die Polizei sicherstellen will. Die Schupos geraten in dem hügeligen, deckungsarmen Gelände ins Kreuzfeuer der Aufständischen. Im Kugelhagel sterben vier Polizisten, fünf werden verwundet. Damit haben die Kämpfe in Mitteldeutschland begonnen.
Der Aufstand
Hoelz versucht am Nachmittag des 23. März, die in Eisleben verschanzten Polizeihundertschaften aus ihrer Deckung zu holen. Er droht damit, die Stadt niederzubrennen und zündelt zur Bekräftigung an einem Gebäude. Anschließend zerschlägt er große Schaufensterscheiben, doch die Polizei lässt sich nicht aus der Reserve locken und Hoelz zieht sich in sein Hauptquartier nach Helbra zurück.
Am selben Tag treffen in den Leuna-Werken Nachrichten von Kämpfen im Mansfelder Land ein. Die Belegschaft tritt daraufhin in den Streik. Im Werk arbeiten 20.000 Menschen, von denen der Großteil das Werk verlässt. Zurück bleiben nur wenig mehr als 2.000 Arbeiter, deren Zahl sich aber in den nächsten Tagen etwas erhöht. Kommandant der Leuna-Werke wird der 24-jährige Malergehilfe Franz Utzelmann, Kampfname Kempin. Kempin gehörte einst der Volksmarinedivision in Berlin an und ist Mitglied der KAPD.
Beim ersten Appell für die Arbeiterwehr finden sich nur 800 Freiwillige ein, die in 18 Schützen- und eine Radfahrerkompanie aufgeteilt werden. Auch in Leuna gibt es nur wenige Waffen, insgesamt nicht mehr als 200 Gewehre und einige Pistolen.
In den nächsten Tagen werden die Leuna-Werke zum Anziehungspunkt von militanten Aktivisten, was auch zu einer Verbesserung der Bewaffnung führt. Es kommt sogar zum Bau eines Panzerzuges, der aus einer Lokomotive und zwei Waggons besteht, die mit 15 mmdicken Stahlplatten ummantelt sind. Die Stahlplatten haben Schießscharten und auf schweren Holzbohlen sind in jedem Waggon zwei Maschinengewehre postiert. Mit diesem Panzerzug beunruhigt die Arbeiterwehr die Polizeitruppen durch mehrere Streiffahrten.
In Halle ist die VKPD bemüht, eine Kampfleitung zu organisieren. Das illegale Hauptquartier wird in der Reilstraße bezogen, doch zu keinem Zeitpunkt gelingt es, eine einheitliche Führung der Bewegung herzustellen. Weder Kempin noch Hoelz nehmen irgendwelche Anweisungen oder Befehle entgegen, schon gar nicht von der VKPD. Allerdings fungiert die Reilstraße sehr effektiv als Nachrichtenzentrale. Sämtliche Telefonate der Halleschen Schutzpolizei werden hier abgehört und ein gut organisierter Kurierdienst bringt die wichtigen Informationen ins Aufstandsgebiet.
Mit Ausbruch der Kämpfe mobilisieren VKPD und KAPD ihre militärischen Kader und schicken sie in die Region, ferner führt zumindest eine Kommandogruppen der Bolschewiki unter Béla Kun Bombenanschläge durch. Insgesamt kommt es dadurch zu einer erheblichen Steigerung der Streikbewegung, auch, weil Schachtanlagen von bewaffneten Trupps besetzt und Bergwerksbahnen durch Sprengung zerstört werden. Vielerorts organisieren sich Gruppen, holen Arbeiter ihre Waffen aus den Verstecken und versuchen, sich der Hoelz-Truppe anzuschließen bzw. das Leuna-Werk zu erreichen oder eigene Schwerpunkte zu bilden.
Am 24. März geht die Regierung in die Offensive. Es zeichnet sich ab, dass der Aufstand auf das Mitteldeutsche Gebiet beschränkt bleiben wird, lediglich in Hamburg gibt es nennenswerte Unruhen. Um ein Bürgerkriegsszenario zu vermeiden, verkündet Reichspräsident Ebert die Verhängung des zivilen und nicht des militärischen Ausnahmezustandes über Mitteldeutschland und Groß-Hamburg. Die Kämpfe werden somit von der Polizei geführt und von Reichswehrartillerieeinheiten lediglich unterstützt. Den Oberbefehl für Mitteldeutschland erhält Polizeioberst Graf von Poninski.
Im Aufstandsgebiet entspinnen sich derweil an vielen Orten Gefechte und Scharmützel, von zentraler Bedeutung bleibt dabei das Vorgehen von Max Hoelz. Er durchzieht mit seiner mobilen Truppe auf Lastwagen und Pferdegespannen die Gegend, sprengt Eisenbahnverbindungen, Villen und öffentliche Gebäude. Außerdem plündert er nicht einfach Geschäfte, sondern stellt für enteignete Ware „Requisitionsschreiben“ aus – später spricht man von einem disziplinierten Raubzug – und nimmt Geiseln, die er für Lösegeld wieder frei lässt. Zwischen 500 und 1500 Mann (in diesem Falle tatsächlich nur Männer) gehören der Hoelz-Truppe an, die das militärische Rückgrat des Aufstandes ist. Immer wieder stoßen neue Kämpfer zur „Armeegruppe Hoelz“, andere verschwinden, sodass eine genaue Zahl nicht bestimmt werden kann.
Kempin in den Leuna-Werken hingegen hat im Gebäude des Direktoriums einen Generalstab etabliert. Er hält fragwürdige Waffenappelle ab und lässt sich von Pressevertretern feiern. Hoelz hält die Leuna-Werke für eine Mausefalle und propagiert, dass nur die mobile Kriegsführung einen Erfolg bringen kann. Allerdings zeigt sich, dass weder er noch Kempin noch ein anderer Beteiligter des Aufstandes einen strategischen Plan verfolgt.
Generalangriff
Am 26. März beginnt in Mitteldeutschland der Generalangriff der massiv verstärkten Schupo. Fast alle Polizisten sind Weltkriegsveteranen und es wird nach bewährter Militärtaktik vorgegangen: die Aufständischen werden eingekesselt, mit gezieltem Artilleriefeuer zusammengeschossen und dann aufgerollt. Bis zum 28. März wird das Aufstandsgebiet auf diese Weise einmal durchquert. Die Wirkung ist nachhaltig, konsequent werden die Revolutionäre von der Polizei geschlagen und der Streik bricht zusammen. Jedoch bleibt ein entscheidender Zusammenstoß mit den Rebellen um Hoelz aus und im Leuna-Werk residiert nach wie vor Kempin.
Max Hoelz besteht am 27. März einen Kampf mit einem Panzerzug in Sangerhausen. DieSchienen vor und hinter dem Zug können die Rebellen sprengen, aber sie haben keine panzerbrechenden Waffen. Deshalb entwickelt sich ein mehrstündiges Feuergefecht, in dem mehrere Männer auf beiden Seiten fallen, bevor Hoelz den Befehl zum Abzug gibt. Sein Ziel ist Halle, er hofft dort bessere Ausrüstung zu erbeuten, um dem Aufstand neuen Schwung zu verleihen. Zunächst will sich Hoelz aus dem Artilleriedepot in Ammendorf kurz vor Halle bedienen. Obwohl sich seine Truppe vor dem Angriff durch Zuzug verstärkt hat, braucht Hoelz mehr Kämpfer und dringend Munition.
Am Morgen des 28. März erreicht Hoelz mit seinen Mannen Ammendorf. Den Sprengkommandos fallen Bahnhof, Post und eine Brücke zum Opfer – allerdings erbeutet Hoelz nicht das Erhoffte. Ein Hilferuf nach Leuna hat lediglich den Erfolg, dass Kempin 1000 Patronen schickt, nicht aber die dringend angemahnte Verstärkung. Hoelz entschließt sich, den Angriff auf Halle allein durchzuführen. Was der Rebellenführer nicht weiß: die Polizei hat mittlerweile 40 Hundertschaften zusammengezogen.
„Mit etwa zweitausend Mann ging ich in einer drei Kilometer breiten Front gegen Halle vor. Zweitausend Meter vor Halle stießen wir auf ausgeschwärmte Schupo. Da uns Munition fehlte, war es nicht ratsam, sich auf einen größeren Kampf mit dem Gegner einzulassen. Ich wartete ungeduldig auf die Leunaarbeiter. Die meisten unserer Genossen hatten kaum ein bis zwei Patronen.“[2]
Der Angriff endet im Debakel. Die Aufständischen werden eingekreist und aufgerieben. Trotzdem gelingt es etlichen zu entkommen, darunter auch Hoelz. Viele Versprengen setzen sich in Richtung Gröbers ab, wo ein neuer Sammelpunkt entsteht.
Bei Leuna sind viele gefallen
Am 28. März wird bei einer Versammlung im Leuna-Werk darüber debattiert, ob sich die Arbeiter absetzen sollen oder kämpfen. Eine Gruppe von 300 Mann, darunter auch Kempin und andere führende Köpfe, entscheidet, das Werk zu verlassen. Die zurückbleibenden Aufständischen sind damit praktisch führungslos, sodass der Betriebsrat versucht, Verhandlungen mit den Behörden aufzunehmen. Diese haben aber keinen Bedarf an Gesprächen. Vielmehr will die Regierung jetzt klare Verhältnisse schaffen – das Leuna-Werk soll militärisch genommen werden.
Am Morgen des 29. März um 6.30 Uhr gibt ein Artillerieschuss 2.000 Polizisten das Signal zum Angriff. Nur an wenigen Stellen kommt es zu erbitterter Gegenwehr. Die Polizisten töten 70 Arbeiter, mindestens 10 weitere ertrinken, als sie die Saale auf der Flucht durchschwimmen wollen, es werden 998 Gefangene gemacht. Die Polizei gibt ihre Verluste mit einem Toten und mehreren Verwundeten an.
Am 30. März existiert als einzige relevante Gruppe des Aufstandes nur noch die Einheit, die sich in Gröbers Max Hoelz unterstellt hat. Die Truppe wird am 1. April von überlegenen Polizeikräften bei Beesenstedt zerschlagen. Mindesten 18 Aufständische fallen, Hoelz gelingt es abermals zu entkommen. Er wird schließlich am 16. April in Berlin gefasst und zu einer lebenslangen Zuchthausstrafe verurteilt. Nach offiziellen Zahlen kostet der Aufstand 145 „Zivilisten“ und 35 Polizisten das Leben, die Zahl der Verwundeten bleibt unbekannt. Mindestens 4500 Aktivisten wird vor Sondergerichten der Prozess gemacht, allein der Mitgliederbestand der VKPD sinkt von 359.000 zu Beginn des Aufstandes auf 180.443 im Sommer 1921[3].
Paul Levi bezieht gegen den Märzaufstand in der Broschüre „Unser Weg. Wider den Putschismus“ öffentlich Stellung, weswegen er aus der KPD ausgeschlossen wird. Selbst Lenin, der mit den Bolschewiki in Moskau zu den Drahtziehern des Mitteldeutschen Aufstands gehört, sieht sich gezwungen die „Märzaktion“ auf dem III. Weltkongress der Komintern (Juni/Juli 1921) zu kritisieren. Der russische Revolutionsführer moniert die mangelhafte Vorbereitung, es sei sehr wichtig, „sich kritisch zu den eigenen Fehlern zu verhalten“.[4] Fehlverhalten der Bolschewiki oder gar eine Infragestellung der Offensivtheorie kommt für Lenin jedoch nicht infrage. Obwohl der bolschewistische Herrscher Selbstkritik fordert findet sie nicht statt. Verantwortung für die katastrophale Niederlage gibt er einzig den Revolutionären in Deutschland. Seine Offensivtheorie „angewandt auf die Märzaktion in Deutschland 1921 (…) war falsch“.[5]
Im Mitteldeutschen Aufstand ballt sich die Entwicklungen der kommunistischen Bewegung Anfang der 1920er Jahre. Er ist damit Teil eines schwierigen revolutionären Erbes.
[1] damals die preußischen Provinz Sachsen, heute Sachsen-Anhalt mit angrenzenden Gebieten Thüringens und Sachsens
[2] Hoelz, Max: Vom „Weißen Kreuz“ zur roten Fahne. Jugend-, Kampf- und Zuchthauserlebnisse, Frankfurt/M. 1969, S. 162 f.
[3] vgl.: Bericht über die Verhandlung des 8. Parteitages der KPD in Leipzig vom 28. Januar bis 1. Februar1923
[4] Lenin: „Rede zur Verteidigung der Taktik des Kommunistischen Internationale“, in: LW 32, S. 496
[5] ebedas