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Wann
08.09.24 – Beginn: 14:00 Uhr

Wo
KZ-Gedenkstätte Ellrich-Juliushütte

Veranstaltungskategorie(n)


Antifaschistische Exkursion mit Bernd Langer, Sonntag, 8. September 2024.

Nach dem britischen Bombenangriff auf die Heeresversuchsanstalt in Peenemünde in der Nacht zum 18. August 1943 wurde die geplante Produktion von zwei sogenannten Vergeltungswaffen, kurz V-Waffen, in bombensichere unterirdische Anlagen verlegt. Es handelte sich um die Flügelbombe V1 und um die erste funktionsfähige ballistische Rakete mit Flüssigkeitstriebwerk, Propagandabezeichnung V2, Deckname Aggregat 4, kurz A4.

Unter strengster Geheimhaltung sollte die SS für die Errichtung und den Betrieb der Raketenfabrik sorgen und setzte dafür rücksichtslos KZ-Häftlinge ein.

 

Die Idee für eine Produktion unter Tage existierte wohl schon länger. Bereits am 26. August 1943, acht Tage nach der Bombardierung von Peenemünde, begann ein Kommando von 107 Häftlingen des KZ-Buchenwald am Kohnstein bei Nordhausen das Außenlager Dora zu errichten. Das ehemalige Gipsabbaugebiet war ein günstiger Standort für das unterirdische Vorhaben. Hier existierte bereits ein Stollensystem, das als Treibstofflager umfunktioniert worden war und nun als Ausgangspunkt für den neu entstehenden Rüstungsschwerpunkt diente. Das Lager Dora wuchs schnell und sollte am 1. November 1944 zum letzten von der SS gegründete KZ-Hauptlager, dem KZ Mittelbau-Dora werden.

 

Verantwortlich für das Entstehen des geheimen Rüstungskomplexes am Südharz mit Decknamen Mittelraum war der Sonderstab Kammler, benannt nach dem SS-Obergruppenführer (höchster Generalsrang in der SS) Heinz Kammler. Der Architekt war seit 1942 Leiter des Bauwesens der SS und verantwortlich für alle KZ-Bauten, einschließlich der Gaskammern und Krematorien. Am 1. September 1944 war Kammler zum Sonderbeauftragten des Reichsführers SS für das A4-Programm ernannt worden.

 

Zum Mittelraum zählte auch eine Anlage im Himmelsberg bei Woffleben. Dort sollten hauptsächlich Flugabwehrraketen produziert werden. Als Arbeitslager für den Tunnelvortrieb wurde eine stillgelegte Gipsfabrik am sechs Kilometer entfernt liegenden Bahnhof Ellrich umfunktioniert. Anfänglich mussten die Häftlinge die Strecke zum Himmelsberg zu Fuß marschieren, um dann in 13-stündigen Schichten Schwerstarbeit zu verrichten. Nach einiger Zeit wurde der Transport auf offenen Güterzügen organisiert.

Das Außenlager, das zunächst den Decknamen Erich erhielt, gehörte zunächst zum KZ Buchenwald.  Von dort trafen am 1. Mai 1944 die ersten 200 KZ-Häftlinge ein. Die Lagerstärke erhöhte sich schnell. Am 31. August 1944 waren hier 6000 Häftlinge eingesperrt.

Unter der Bezeichnung Mittelbau II gehörte das Lager am 1. November zum eigenständig gewordenen Konzentrationslager Mittelbau-Dora.

Im Zusammenhang mit dem Rüstungskomplex Mittelraum sollten auch neue Eisenbahnstrecken trassiert werden. Ab Mai 1944 war die SS-Baubrigade III nach Wieda verlegt worden. Das Schützenhaus diente als Häftlingsunterkunft und wurde samt Schützenplatz mit Stacheldraht eingezäunt. Bald darauf entstanden ähnliche Barackenlager in Osterhagen, Mackenrode und Nüxei. Durch Neuzugänge aus Dora wurde die SS-Baubrigade auf über 1000 Häftlinge aufgestockt.

Den Häftlingen mangelte es an allem, selbst Kleidung war knapp und wurde teils monatelang nicht gewaschen. Im Lager Ellrich-Juliushütte gab es sogar eine Häftlingskategorie Ohne Kleider, deren Angehörige nackt in ihren Unterkünften verbleiben mussten. Das betraf zeitweise bis zu 2000 Häftlinge.

Aufgrund der Lebens- und Arbeitsbedingungen, mangelnder medizinischer Versorgung und des Terrors der SS starben viele Häftlinge. Ihre Leichen wurden im Krematorium des Hauptlagers Mittelbau-Dora verbrannt, bis Anfang März 1945 eine eigene Verbrennungsanlage im Lager Ellrich-Juliushütte den Betrieb aufnahm. In den knapp vier Wochen, bis das Lager vor den heranrückenden US-amerikanischen Truppen geräumt wurde, starben noch über 1000 Häftlinge. Das Krematorium reichte nicht aus, um alle Toten einäschern zu können, so wurden Leichen zusätzlich auf Scheiterhaufen verbrannt. Insgesamt kamen im Außenlager Ellrich-Juliushütte über 4000 Häftlinge ums Leben. Kurz bevor die US-Army das Lager erreichte, schaffte die SS alle verbliebenen Häftlinge am 4./5. April 1945 mit Eisenbahnzügen in die KZs Bergen-Belsen und Sachsenhausen. Am 12. April 1945 besetzten US-amerikanische Truppen die Stadt Ellrich.

Wenige Jahre später befand sich das ehemalige Lager direkt auf der innerdeutschen Grenze, was dazu führte, dass die baulichen Reste Zug um Zug eingeebnet wurden. Erst in den 1980er Jahren begann die Auseinandersetzung mit dieser Geschichte vor Ort. Im November 1989 konnte an der Stelle des 1964 gesprengten Krematoriums ein Gedenkstein eingeweiht werden. Vier Jahre später erfolgte die Einstufung des niedersächsischen Lagerteils als Gedenkort mit Anlage eines Rundwegs. Im Osten zog man etwas später nach. Die belgische Stadt Leuven stiftete einen Gedenkstein, der seit 1994 nahe dem ehemaligen Lagereingang steht. Im Jahr 1998 wies das Land Thüringen seinen Lagerteil als Kulturdenkmal aus; seit 2010 sind Informationstafeln auf dem Gelände aufgestellt.