Die Tode von Conny und Alex
Vor 30 Jahren in Göttingen
Man schrieb Freitag, den 17. November 1989, es war eine kalte Novembernacht. In Northeim hatte ich einen Dia-Vortrag über Neonazis gehalten und war auf der Rückfahrt nach Göttingen. Da flackerte von Ferne auf der Weender Landstraße Blaulicht in der Höhe des Iduna Zentrums. Ein Polizeieinsatz gegen 21.30 Uhr, direkt gegenüber des Uni-Geländes, da musste Stress mit Neonazis der Grund sein. Seit das Haus des Frührentners Karl Polacek (1934 – 2014) in Mackenrode der FAP (Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei) als Stützpunkt diente, kam es jedes Wochenende zu Schlägereien in der Stadt. Wir hatten für solche Fälle Telefonketten organisiert um in Kürze militante Gegenwehr auf der Straße organisieren zu können. Neben den Nazis stand allerdings stets schützend die Polizei. Das im Hinterkopf stellte ich mein Auto ab und näherte mich einer merkwürdigen Szene. Einige Genoss_innen aus der autonomen Bewegung liefen konfus herum, andere lagen sich weinend in den Armen. Dazwischen Polizisten, die nicht so recht wussten was zu tun war. Es musst gerade eben passiert sein. Stadtauswärts lief der Verkehr noch. Auf der abgesperrten Fahrbahn in Richtung Stadt, stand ein weißer PKW mit zersplitterter Frontscheibe und offener Fahrertür. Einige Meter davon entfernt lag rücklings eine Frau auf der Fahrbahn. Sie war offensichtlich im hohen Bogen durch die Luft geschleudert worden. Verletzungen waren nicht zu erkennen, das Gesicht war zur Seite gedreht. Doch unter der reglos daliegenden breitete sich eine große Blutlache aus, die in der Kälte kondensierte.
Es dauerte einige Zeit bis der Notarztwagen eintraf und kurz darauf ein weiteres Fahrzeug heran fuhr. Die hinteren Türen des Wagens öffneten sich, und ein Zinksarg kam zum Vorschein. Zwei Männer stellten die Blechkiste neben die Tote und nahmen den Deckel ab. Als die Leichenträger den leblose Körper in den Blechsarg hoben, machte das endgültig klar, die Frau auf dem Asphalt, Kornelia Wessmann, genannt Conny, 24 Jahre, Studentin, war wirklich tot.
Die Verantwortung für diesen Tod hatte die Polizei, wie bei den drei anderen Toten aus der Bewegung zuvor. Olaf Ritzmann, der in Hamburg bei einer Anti-Strauß-Demo 1980 sterben musste. Klaus Jürgen Rattay, Hausbesetzer in Westberlin, der 1981 in den fließenden Verkehr getrieben wurde. Günter Sare, den bei einer Anti-NPD Demonstration in Frankfurt/Main 1985 ein Wasserwerfer überrollte.
Wie in diesen Fällen musste eine Antwort her! In vielen Städten der BRD gingen Menschen auf die Straße und es gab einige Sachschäden. Vor allem in Göttingen, wo es eine Woche lang täglich zu Demonstrationen kam und in der Innenstadt ständig Scheiben von Banken und Kaufhäusern zu Bruch gingen. Den Abschluss bildete eine bundesweite Demo am 25.11.1989.
Die Polizei hielt sich, abgesehen von Vorkontrollen auf der Autobahn, vollständig zurück. Kein Polizist war in der Nähe der Demo zu sehen. Mehr als 18.000 Menschen kamen zusammen, vorn ging ein großer schwarzer Block und die Fahne der Antifaschistischen Aktion mit Trauerflor wehte an der Spitze.
Ab der Kreuzung der Weender Landstraße, lief die Demo bis zur Todesstelle als Schweigemarsch. Erst auf dem Rückweg setzte kurz vor dem erreichen der Fußgängerzone donnernd der Sprechchor: „Feuer und Flamme für diesen Staat!“ ein. Die Worte hallten in der breiten Einkaufsstraße wie ein Racheschrei. Dann zerlegten wir die Innenstadt. Wobei darauf geachtet wurde, das niemand plünderte.
Am Ende, als sich die Demonstration am Jugendzentrum Innenstadt auflöste, preschte plötzlich eine Hundertschaft frontal in die Versammelten. Sofort hagelte es Steine, Flaschen, Feuerwerkskörper und Molotowcocktails auf die Polizisten, die derbe einstecken mussten und flüchteten.
Für die Region Südniedersachsen war Connys Tod von großer Bedeutung. Die Antifa-Bewegung erlebte einen großen Aufschwung und das Verhalten der Polizei geriet unter öffentlichen Druck. Daran änderten auch die Sachschäden in der Innenstadt nichts.
Auch durch den Mord an dem 21-jährigen Wehrdienstleistenden Alexander Selchow in der Silvesternacht 1991 blieb Antifa ein Thema. Zwei FAP-Anhänger erstachen den Bundeswehrsoldaten in Rosdorf bei Göttingen. Diese Tat hatte allerdings mit dem Tod von Conny wenig zu tun. Der Mord an Alex gehörte eher zu der rechtsradikalen Gewaltwelle die durch Anschluss der DDR an die BRD entstand. Allein die Statistik der Bundesregierung führt 83 Todesopfern seit 1990 durch rechtsradikale Gewalttaten auf.